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Kündigung in der Krise

 

Corona stellt Ingenieur auf lange Geduldsprobe bei der Jobsuche


Interview mit Frank B., 35, Konstruktionsingenieur in der Autoindustrie


Mit Mitte 30 steht der Familienvater mitten im Leben. Er wohnt mit seiner Frau und 2 Kindern in einem schmucken Häuschen am Rande einer Kleinstadt. Seit 5 Jahren arbeitet er bereits für einen Automobilzulieferer, konstruiert Turbinen- und Verdichtergehäuse.

Frank B. hat seine Karriere auf ein solides Fundament gestellt. Seinen beruflichen Werdegang startete er mit einer 3-jährigen Ausbildung zum Industriemechaniker. Danach drückte er nochmals die Schulbank, holte sein Abitur nach und durchlief anschließend Bachelor- und Masterstudium an einer Hochschule.

Der erste Job nach dem Studium führte ihn als Ingenieur zu einem mittelständischen Unternehmen, bei dem er 3 Jahre blieb. Anschließend wechselte er zum aktuellen Arbeitgeber. Es ist Ende 2019, die Corona-Pandemie breitet sich schleichend und noch unbemerkt aus.



Was ist passiert?


Mir wurde betriebsbedingt gekündigt.



Wie kam es zum Jobende? Was sind die Gründe?


Gründe gab es mehrere: die Firma hatte Auftragseinbrüche zu verzeichnen, schrieb schlechte Zahlen, denn die laufenden Kosten waren einfach zu hoch.

Dazu kam auch noch der Dieselskandal. Als Folge davon wurden Mitarbeiter entlassen.



Wie war dein Chef?


Mein Vorgesetzter war unaufrichtig, falsch, hinterhältig, ein Lügner. Er hat mich gemobbt. Die schlechte wirtschaftliche Lage kam ihm genau recht, mich loszuwerden.



Wie war der Ablauf der Kündigung?



Es gab eine Einladung per Outlook und dann wurde mir das Abfindungsangebot mit Kündigung vorgelegt.



Wie hast du reagiert?


Ich war tief traurig und innerlich wütend. Ab dem Zeitpunkt der Kündigung war ich demotiviert, entwickelte eine „Mir ist alles egal Einstellung“, habe nur noch das Nötigste bei der Arbeit umgesetzt.



Was war die stärkste Emotion?


Innerlich war ich tief enttäuscht wegen dem unaufrichtigen Verhalten meiner Vorgesetzten. Sie wussten, dass ich eine Familie mit 2 Kindern und Haus habe.

Sie boten mir nicht mal eine andere Stelle im Unternehmen an wie es bei anderen Kollegen der Fall war.



Wer in deinem Bekanntenkreis war noch von Kündigung betroffen? Wie hat dein Umfeld reagiert?


In Summe mussten 50 Kollegen gehen. Es herrschte eine sehr schlechte Stimmung im Unternehmen, auch bei denen, die bleiben durften.

Sie sollten die Aufgaben derer übernehmen, die das Unternehmen verlassen mussten.



Wer wendete sich von dir ab? Wer ist loyal dir gegenüber? Wer förderte dich? Wer profitierte davon, dass du gehst?


Die Vorgesetzen und Projektleiter wendeten sich von mir ab. Sie profitierten von meinem Weggang, da sie die Vorgaben erfüllten, die Kosten in der Abteilung zu senken.

Die meisten Kollegen waren mir loyal gegenüber. Mein Teamleiter stand ebenfalls hinter mir.



Wie gingst du mit der Situation um?


Da mich in der Firma nichts mehr interessiert hat, wurde ich sehr locker, habe öfters als vorher mit den Kollegen über Privates gesprochen, Kaffee getrunken oder Spaß gemacht.



Hast du einen Aufhebungsvertrag unterzeichnet? Erzähl, wie war der Ablauf?


Ja, nach der Kündigungsinfo hatte ich noch 1 Monat Zeit, den Aufhebungsvertrag zu unterschreiben.

Als Entschädigung gab es eine Abfindungssumme und ich durfte noch vier Monate dort arbeiten.



Hast du Klage eingereicht?


Nein, leider nicht. Das hätte ich machen sollen, wurde mir aber von meiner Rechtschutzversicherung bzw. dem Anwalt nicht empfohlen.



Wie zufrieden warst du mit deinem Anwalt?


Im Nachgang war ich nicht so wirklich zufrieden. Er gab nur die Empfehlung, mir eine sehr gute Note in den Aufhebungsvertrag für das Zeugnis mit aufnehmen zu lassen.



Hattest du eine Rechtsschutzversicherung?


Ja.



Was würdest du heute anders machen?


Rückblickend wäre es sinnvoller gewesen, zu klagen und mich sofort freistellen zu lassen.



Wer oder was hat dir in der Situation geholfen?


• Meine Familie

• Meine Kollegen und mein Teamleiter

• Unterstützung bei der beruflichen Neuorientierung durch einen externen Dienstleister. Das Programm wurde von der Firma gezahlt.



Hat sich dein Jobende angebahnt? Wenn ja, wie?


Im Grunde hat sich meine Kündigung angebahnt. Mein Chef hat mich 1,5 Jahre lang gemobbt, weil ich nicht zu allem JA und AMEN gesagt habe.



Wie war dein letzter Arbeitstag?


Aufgrund von Corona arbeitete ich die letzten Monate im Home Office. Mein letzter Arbeitstag war sehr entspannt.

Ich habe mich über Skype von den meisten, mit denen ich einen guten Kontakt hatte, verabschiedet.

Anschließend gab ich meinen Computer und Ausweis in der Firma ab.



In wie weit hat sich die Coronapandemie ausgewirkt?


Ich hätte nie geglaubt, dass sich die Coronakrise so lange hinzieht und die Jobsuche so zäh wird.

Mit fortschreitendem Lockdown wurde es immer schwieriger bei der Jobsuche, eine adäquate neue Stelle zu finden. Viele Firmen sind aktuell verhalten, entlassen eher Mitarbeiter als neue einzustellen.








Wie war dein Stresslevel in dieser für dich schwierigen Zeit?


In den Wochen nach der Kündigung sehr hoch, danach fühlte ich mich weniger gestresst.



Was waren die stärksten Emotionen?


Wut und tiefer Hass und Verachtung gegenüber meinen direkten Vorgesetzten.



Gab es Schwachpunkte oder Unpässlichkeiten? Wie hat sich das im Körper bemerkbar gemacht?


In der Zeit habe ich viel Schokolade gegessen und an Gewicht zugenommen. Ich habe vieles in mich hineingefressen, bekam sogar Schlafstörungen und war geistig abwesend.



Bist du eher jemand, der die Dinge mit sich selber ausmacht?


Zum Teil ja, aber auf der andern Seite brauche ich auch jemandem, um darüber zu sprechen, was mich bewegt. Ich hole mir dann auch Rat.



Wie ging es mit dir nach Jobende weiter? Wie hast du die freie Zeit verbracht?


Ich habe den Kindern morgens geholfen, sich für die Schule oder den Kindergarten fertig zu machen. Ich erledigte die anfallende Hausarbeit, da meine Frau seit letztem Sommer für 15 Stunden die Woche arbeiten geht.

Am Nachmittag holte ich den Kleinen vom Kindergarten ab und half dem Großen bei den Hausaufgaben.

In meiner Freizeit habe ich viel Sport getrieben, den Garten auf Vordermann gebracht und mich in Excel weitergeschult. Insgesamt habe ich die Zeit bestmöglich im Rahmen wie es die Corona Pandemie eben zugelassen hat, verbracht.



Was hast du konkret getan, um wieder beruflich auf die Beine zu kommen?


Ich habe mich in einen Bewerbungsmarathon gestürzt, mich in meinem Freundeskreis und bei Bekannten bezüglich Stellenausschreibungen umgehört. Die Antwort war immer die gleiche: „Nein, es werden eher Mitarbeiter entlassen.“ Dreimal die Woche habe ich passende Stellen bei StepStone gesucht oder bekam Stellenempfehlungen von Xing und LinkedIn, ab und zu auch vom Arbeitsamt. Irgendwann habe ich mich sogar initiativ beworben.

Pro Woche habe ich eine bis zwei Bewerbungen geschrieben. Anfangs kamen nur Absagen ohne Einladung. Ich habe es auch bei bestimmt 10 Dienstleistern versucht, aber ohne Erfolg. Selbst ein Personalvermittler hatte sich bei mir mit einer interessanten Stelle gemeldet. Es hat sich aber alles zerschlagen.

Das absolute No Go habe ich erst vor kurzem in einem Vorstellungsgespräch erleben dürfen, als ich gefragt wurde, warum es denn innerhalb eines Jahres nicht geklappt hat einen neuen Job zu finden. Es war wohl nur eine Art Reaktions- oder Stresstest, um zu schauen, wie ich mich verhalte. Ich fand diese Frage in der aktuellen Lage jedoch nicht angebracht.



Wie viele Bewerbungen hast du geschrieben?


Bewerbungen habe ich insgesamt 102 geschrieben. Davon war ich bei 5 Firmen zu Gesprächen eingeladen, also sehr deprimierend.



Wie bist du dann zum neuen Job gekommen?


Gott sei Dank hat es jetzt endlich geklappt. Ich hatte vor einigen Wochen an zwei Firmen bei mir in der Region Bewerbungen geschrieben. Bei beiden Firmen war ein hohes Interesse da, es gab quasi wöchentlich ein Gespräch über MS-Teams oder vor Ort. Die eine Firma, bei der ich vor kurzem unterschrieben habe, hatte mir letzte Woche zugesagt und bei der anderen hatte ich letzte Woche mein zweites Gespräch.

Da war ich von 200 Bewerbern bei den letzten 3 dabei, hat aber dann leider doch nicht gereicht. Ich bin jetzt wieder für die Automobilbranche tätig, allerdings Richtung E-Mobilität und wieder in der Konstruktion, was ich ja wollte.



Wie sind die Konditionen?


Vom Gehalt her liege ich etwas mehr als 25.000 unter dem, was ich mal verdient habe. Auf der anderen Seite bin ich einfach nur froh, dass es nach 12-monatiger Jobsuche endlich wieder geklappt hat. Ich bin im Arbeitgebermarkt unterwegs, was den Gehaltssprung nach unten widerspiegelt – friss oder stirb. Generell ist die Lage denke ich nicht so gut für Ingenieure, die nichts mit IT, Elektronik oder Programmierung zu tun haben, da einfach sehr viele im Moment auf Jobsuche sind.



Welche Werte sind dir in der Berufswelt wirklich wichtig? 


Ehrlichkeit, Wertschätzung, interessante Aufgaben, Vertrauen und ein gutes Verhältnis zu den Kollegen und dem Vorgesetzten.



1 Jahr nach dem Jobverlust: Wo stehst du jetzt im Ablösungsprozess von der alten Firma?


Ich versuche nicht mehr daran zu denken. Ganz habe ich noch immer nicht abgeschlossen. Ich träume immer wieder mal von meiner Tätigkeit.

Auf der anderen Seite versuche ich zu früheren Kollegen den Kontakt zu halten.



Was hast du mitgenommen aus dieser Zeit?

• Rückblickend hätte ich schon viel früher von selbst gehen sollen. So ein Jobwechsel ist aber nicht so leicht.
• Häufiger NEIN zu sagen, auch wenn es unfreundlich rüber kommt.
• Mehr kleine Pausen einzulegen während des Arbeitstages.
• Pünktlich Feierabend machen.



Wenn du auf 2020 zurückblickst, welche Schlagwörter beschreiben am besten deine berufliche Situation?


Unzufriedenheit, Abneigung der Firma gegenüber, keine Wertschätzung, keine Aufrichtigkeit, Unehrlichkeit, keine Unterstützung von den Vorgesetzten, kein Spaß mehr an und bei der Arbeit, Gefangener im Unternehmen.



Hast du dich persönlich durch diese Erfahrung verändert? Wenn ja, wie?


Im neuen Job werde ich nicht mehr alles so ernst und persönlich nehmen, es dankt einem sowieso keiner.



Du weisst ja, meine Marke heisst: „Ich wurde gefeuert – zum Glück“ Was ist dein Glück?


Würde es die Corona Pandemie nicht geben und hätte ich schnell nach der Kündigung wieder einen neuen Job gefunden, hätte mir nichts Besseres passieren können, endlich dieses Unternehmen und vor allem den mobbenden und unaufrichtigen Vorgesetzten hinter mir zu lassen.



Was möchtest du mir abschließend noch mitteilen?


In den letzten Monaten gab es immer wieder auch Momente, da hatte ich Angst davor, tatsächlich in Harz IV abzurutschen und gegebenenfalls mein Haus und mein Auto zu verlieren.

Zudem kam die Corona-Pandemie noch zusätzlich erdrückend hinzu. Umso mehr bin ich froh, dass es nun doch wieder mit der neuen Arbeitsstelle geklappt hat. Auf geht’s!
Mein Rat ist dranbleiben und den Mut nicht verlieren. Alles andere hilft leider nichts. 



 

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