Wie narzisstische Chefs versuchen ihre Mitarbeiter in die Kündigung zu treiben
Interview mit Stefan K. , 54 Jahre, IT-Leiter und Prokurist
Du arbeitest für ein mittelständisches Unternehmen. Wie sind die Besitzverhältnisse?
Die Firma ist in der Baustoffzulieferindustrie tätig. Sie war bis vor einigen Jahren noch in der Hand der Gründerfamilie. Die Geschäftsanteile wurden dann in eine Familienstiftung eingebracht. Vordergründig sollte damit die Existenz des Unternehmens abgesichert werden, zumal im Familienkreis auf absehbare Zeit keine potenziellen Nachfolger in Sicht waren, welche die Geschäftsführung hätten übernehmen können. Es gibt zwei Geschäftsführer. Einer der beiden ist gleichzeitig Sprecher der Geschäftsführung und alleinvertretungsberechtigt, während der andere nur gemeinschaftlich vertretungsberechtigt ist.
Zusätzlich wurde ein Aufsichtsrat installiert. Dieser ist bei einer GmbH dieser Größe allerdings fakultativ. Im Aufsichtsrat sitzen ein Sohn des Firmengründers und zwei externe Berater. Die Mitglieder des Aufsichtsrats sind deckungsgleich mit den Mitgliedern des Stiftungsrates. Der Aufsichtsrat hat sich in der Vergangenheit immer sehr dezent im Hintergrund gehalten.
Gesprächsversuche zwischen Aufsichtsrat und Betriebsrat sind bislang abgelehnt bzw. auf die lange Bank geschoben worden. Was sich im Unternehmen tatsächlich abspielt, ist dem Aufsichtsrat vermutlich nicht bekannt, da er nur einseitig informiert wird. Da die Zahlen stimmen, glaube ich, dass sich das Interesse für andere Themen in Grenzen hält.
Wie wird das Unternehmen geführt?
Die Führungskultur habe ich als autoritär erlebt. Anerkennung erfahren maximal die Mitarbeiter, die als absolut loyal gelten. Es herrscht eher eine Kultur des Misstrauens.
Du beschreibst deinen Chef als Narzissten. Was meinst du damit?
Wenn man die Verhaltensweise und die Charaktereigenschaften meines Chefs analysiert, landet man unweigerlich beim Thema Narzissmus. Bei diesem Menschentypus handelt es sich um Selbstverliebte, die immer im Mittelpunkt stehen wollen, ja sogar müssen. Sie sind dominant und besitzen ein übersteigertes Selbstbewusstsein. Egoismus, Arroganz und mangelnde Kritikfähigkeit sind ihnen angeboren. Gleichzeitig sind Narzissten eloquent, strahlen hier und da eine gewisse Coolness aus und können durchaus Charme und Humor besitzen. Das bringt ihnen häufig die Bewunderung ihrer Mitmenschen ein. Dies ist sicherlich auch ein Grund dafür, dass dieser Charakter überdurchschnittlich häufig in Chefetagen anzutreffen ist. Die besondere Charaktermischung macht diese Menschen gefährlich. Ein wahrer Wolf im Schafspelz, mit dem man sich besser nicht anlegt.
Was ist konkret passiert?
Ich wurde nach 32 Jahren Betriebszugehörigkeit in das Büro des Geschäftsführers geladen. Ohne Vorwarnung wurde ich degradiert. Meinen Geschäftswagen sollte ich abgeben, meine Prokura wurde mir genommen. Ein Mitarbeiter aus meinem Team wurde befördert und ersetzte mich fortan als IT Leiter im Unternehmen. Es gab im Vorfeld keine weltbewegenden Konfliktsituationen, weder eine Abmahnung noch eine Befragung des bestehenden Betriebsrates. Ich war entsetzt, meldete mich krank, kontaktierte noch am selben Tag meinen Anwalt. Kurze Zeit später reichte ich Klage gegen die Versetzung ein. Einige Wochen später erhielt ich meine schriftliche Kündigung, wurde nicht freigestellt. Daraufhin ging ich wieder gerichtlich dagegen vor und reichte Kündigungsschutzklage ein.
Meine unerwartete Degradierung hat eine Schockwelle im Unternehmen ausgelöst. Die Verunsicherung unter den Mitarbeitern war groß. Viele Kollegen konnten und wollten zunächst nicht glauben, dass ein Mitarbeiter ohne plausiblen Grund so behandelt wird. Vielfach wurde darüber spekuliert, ob ich das Unternehmen in irgendeiner Form geschädigt oder ob ich gravierende Verfehlungen begangen hätte (z.B. den goldenen Löffel geklaut). Dem war aber nicht so und das habe ich auch sehr offensiv kommuniziert, während die Geschäftsführung konsequent dazu geschwiegen hat. Einige Kollegen haben mir geglaubt, andere nicht.
Der Akt der Degradierung selbst kam einer Vorverurteilung gleich und das konnte ich nicht so einfach abschütteln. Das Thema hat dann unheimlich polarisiert. Keiner der Kollegen hat sich offen zu mir bekannt, es gab zwar nicht wenige heimliche Sympathisanten, aber im Großen und Ganzen stand ich doch ganz einsam da. Viele der Kollegen waren meines Erachtens eingeschüchtert und hatten Angst vor Konsequenzen, wenn sie mit mir sympathisieren. Da kam sogar eine Kollegin auf mich zu und sagte: „Ich hab richtig Angst davor, dass man mich mit Dir zusammen sehen könnte.“
Nach zwei erfolglosen Güteverhandlungen kam es zum ersten Kammertermin vor dem Arbeitsgericht. Der Richter erklärte, dass er die plötzliche Degradierung für rechtswidrig halte. Im Hinblick auf das parallel laufende Kündigungsschutzverfahren schlug er eine Freistellung und den vorläufigen Verzicht auf Rückversetzung vor. Fortan war ich zuhause, wartete auf den 2. Kammertermin. Dieser fand ein halbes Jahr später statt.
Ich nutzte die Zwischenzeit, um mich anderweitig umzusehen, begann mich auch überregional zu bewerben. Auf 15 Bewerbungen folgten 7 Vorstellungsgespräche, ohne Erfolg. Der drohende Arbeitsplatzverlust machte mir Angst. Meine Existenz stand auf dem Spiel. Ich hatte sehr gut verdient und den Luxus in der Nähe des Arbeitsplatzes zu wohnen. Ich war bereit Kompromisse einzugehen. Schließlich kam es zum 2. Kammertermin.
Die Kündigung wurde für unwirksam erklärt.
Der Richter bot einen Vergleich an, der jedoch zu keiner Einigung führte. Ich hatte ja zuvor meine Chancen auf dem Arbeitsmarkt getestet. Ich wusste, dass ich wenige Chancen hatte, in meinem Alter wieder einen Posten zu den alten Konditionen zu ergattern. Das Ende vom Lied: Ich kehrte wieder in den Betrieb zurück, übernahm fortan wieder die Position, die ich vor der Degradierung innehatte. Mir wurde ein neues Büro nahe der Geschäftsführung zugewiesen, weit weg von meiner alten Abteilung.
Nachdem ich den Kündigungsschutzprozess dann gewonnen hatte und nach längerer Freistellung ins Unternehmen zurückkehrte, sahen mich viele Kollegen nicht nur als juristischen, sondern auch als moralischen Sieger. Ich wurde von vielen Kollegen offen und herzlich empfangen. Viele haben mich auch für mein Durchhaltevermögen und vor allem auch für meine innere Haltung bewundert. Außer von der Geschäftsführung und einigen wenigen linientreuen Kollegen bin ich nie angefeindet worden.
Meine alten Aufgaben wurden mir nicht wieder übertragen. Ganz im Gegenteil, es gab von dem Moment an 2 IT-Leiter: mich und meinen ehemaligen Mitarbeiter. Meine Funktion bestand nur noch auf dem Papier. Wieder sah ich mich gezwungen, dagegen gerichtlich vorzugehen und eine vertragsmäßige Beschäftigung einzuklagen.
Wann wurde dein Fall vor Gericht weiter behandelt? Was war das Ergebnis der Klage auf vertragsgemäße Beschäftigung?
In dieser Angelegenheit kam es dann mit über einjähriger Verzögerung endlich zu einem Gütetermin. Der Arbeitsrichter machte den Geschäftsführern und dem gegnerischen Anwalt ziemlich schnell klar, dass hier die Grenzen des Direktionsrechts überschritten wurden. Der Richter empfahl daraufhin die Streitigkeit über einen von uns vorgeschlagenen Vergleich zu beenden, was dann nach einigen Wochen auch passiert ist.
Wie sieht das Abschiedspaket konkret aus?
Das Abschiedspaket besteht aus einer längeren Freistellungsperiode und einer Abfindung. Daneben sind noch Regelungen zu einer Pensionszusage und zur weiteren Nutzung des Firmenwagens getroffen worden. Mir war es wichtig, dass eine Lösung zustande kommt, welche die wirtschaftlichen Nachteile, die mir in Zukunft entstehen, weitestgehend ausgleicht. Ansonsten kommt es bei einem Aufhebungsvertag immer auf die individuellen Gegebenheiten an. Juristisch gibt es noch einige Dinge, auf die man achten muss, das sollte man aber dem erfahrenen Anwalt überlassen.
Nachdem du den Kündigungsschutzprozess gewonnen hast, bist du in die Firma zurückgekehrt und hast den Anwalt gewechselt. Warum?
Mein ursprünglicher Anwalt vertrat mich in den Verfahren wegen der rechtswidrigen Versetzung, im Kündigungsschutzverfahren und in einem weiteren Verfahren wegen Zeugniserteilung. Diese Verfahren wurden auch alle zu meinen Gunsten zu Ende gebracht. Allerdings beschlich mich nach dem Kündigungsschutzverfahren ein ungutes Gefühl, da mein Anwalt bereit gewesen wäre, auf einen Vergleich mit einer Regelabfindung von 0,5 Monatsgehältern je Beschäftigungsjahr einzugehen.
Das war für mich zum damaligen Zeitpunkt völlig inakzeptabel, ja geradezu ein Schock, und ich entschied mich daher, in Abstimmung mit meiner Ehefrau, wieder an meinen Arbeitsplatz zurückzukehren, wohlwissend, was da dann auf mich zukommen könnte. Wie zu erwarten wurde ich nur pro Forma auf meiner alten Position beschäftigt. In Wirklichkeit wurde ich kaltgestellt und vom operativen Geschäftsbetrieb isoliert. Meinem Anwalt erteilte ich dann unmittelbar den Auftrag, meinen vertragsmäßigen Beschäftigungsanspruch gerichtlich durchzusetzen. Er ließ sich dabei sehr viel Zeit und schob immer wieder andere Gründe vor, die weitere Klage einzureichen.
Zwischenzeitlich bewarb ich mich um das Amt des Betriebsrats im Unternehmen und wurde dann auch mit Stimmenmehrheit in das Gremium gewählt. Zu meinem Befremden hielt mein damaliger Anwalt überhaupt nichts von meiner Kandidatur. Nach genau einem Jahr war dann die Klage auf vertragsmäßige Beschäftigung immer noch nicht bei Gericht eingereicht worden.
Das veranlasste mich dazu, meinem Anwalt das Mandat zu entziehen. Mittlerweile hatte sich bei mir der Verdacht erhärtet, dass eventuell sogar ein Parteiverrat im Spiel war und hinter meinem Rücken ein Spiel getrieben wurde, was dazu dienen sollte, mich zu zermürben. Beweisen konnte ich es nicht.
Du wurdest nach deiner Rückkehr ins Unternehmen in den Betriebsrat gewählt. Wie erging es dir dort?
Nach meiner Rückkehr ins Unternehmen wurde ich zum stellvertretenden Vorsitzenden des Betriebsrates gewählt. Durch die Wahl und wegen einer 50-prozentigen Schwerbehinderung war ich praktisch unkündbar. Die Arbeit in dem Gremium hat sich komplett anders entwickelt als ich erwartet und auch erhofft hatte. Obwohl die Geschäftsführung versuchte durch die Entsendung eigener Leute die Wahl zu manipulieren, wurden am Ende Mitglieder in den Betriebsrat gewählt, von denen ich zunächst der Meinung war, dass diese in der Lage wären, vernünftige Betriebsratsarbeit zu leisten. Doch da hatte ich mich schwer getäuscht. Der Umstand, dass mir knapp 60 % der Mitarbeiter ihre Stimme gaben, war ein klares Signal an die Geschäftsführung und Ausdruck dafür, dass die Mehrheit der Mitarbeiter sich nach Veränderungen sehnte.
Doch die Manipulationsversuche durch die Geschäftsführung hielten auch in der Folgezeit an. Das zeigte dann auch schnell Wirkung, zum einen bei der Wahl des Betriebsratsvorsitzenden und zum anderen, als es darum ging, ein Betriebsratsmitglied freizustellen. Aufgrund massiver Drohungen und diverser geheimer Gespräche zwischen dem autoritären Narzissten und einzelner Betriebsratsmitglieder verschlechterte sich die Stimmung im Gremium zu meinen Ungunsten. Der Betriebsrat fiel wieder in die alten Verhaltensmuster, die auch schon in den 16 Jahren zuvor erkennbar waren, zurück. In einem 9-köpfigen Gremium waren mit Einschränkung nur der Vorsitzende und ich als Stellvertreter bereit, auch mal einen härteren Kurs zu fahren.
Der Rest des Gremiums schien überhaupt kein Interesse daran zu haben in die Mitbestimmung zu kommen und die gesetzlichen Anforderungen umzusetzen. Nach dem überraschenden Rücktritt des Betriebsratsvorsitzenden fand ich mich plötzlich in einer 8 gegen 1-Konstellation. Zum Entsetzen vieler Kolleginnen und Kollegen wählte mich dann das Gremium auch noch von meinem Stellvertreterposten ab.
Der autoritäre Narzisst hatte es geschafft, sich das Gremium gefügig zu machen und so gut es ging von der Mitbestimmung auszuschließen. Ein Großteil der Kolleginnen und Kollegen war von der Arbeit des Betriebsrats enttäuscht, was aber nicht dazu führte, dass sich Unmut im großen Stil äußerte, sondern dazu, dass die Kolleginnen und Kollegen in der gewohnten Lethargie versanken. Für mich war es unverständlich wie wenig Rückgrat die BR-Kollegen hatten. Erstaunlich war auch, dass ich regelrecht angefeindet wurde und das nur, weil ich gewillt war ordentliche und gesetzeskonforme Betriebsratsarbeit zu machen.
Mir wurde immer vorgeworfen, ich würde das nur wegen meiner privaten Fehde machen, die ich mit den Geschäftsführern führe. Dem war aber nicht so, auch wenn man das natürlich so sehen konnte. Für mich war das Verhalten der Kollegen eine bittere menschliche Enttäuschung und eine vertane Chance für die Mitbestimmung und einen möglichen Kulturwandel im Unternehmen.
Wie lange war der Zeitraum insgesamt von dem Tag an, als du degradiert wurdest und dem letzten Tag im Unternehmen?
Das waren ziemlich genau 2 ½ Jahre.
Was war dein Motiv, diesen steinigen Weg bis zum Ende zu gehen?
Der Kampf für Gerechtigkeit und Anstand war bis zum Schluss der wichtigste Bestandteil meiner Überlebensstrategie.
Vor Gericht hast du dir einen Sieg erkämpft. Wie sieht es in dir drinnen aus?
Verbitterung ist zwar ein hässliches Wort, trifft aber meine zeitweilige Gemütslage ziemlich gut. Dass ich mit einem vernünftigen Vergleich aus der Geschichte herausgegangen bin, war sicher kein Pyrrhussieg. Dennoch verblasst dieser Erfolg in der Gesamtbetrachtung deutlich. Richtige Siege fühlen sich anders an!
Würdest du den gleichen Weg wiedergehen?
Ja ich würde den gleichen Weg wiedergehen, ob ich ihn allerdings gegangen wäre, wenn ich vorher gewusst hätte, wie steinig er ist, dann bin ich mir nicht ganz sicher. Ich hatte das Glück, dass ich mit einer außerordentlichen Resilienz gesegnet bin und damit auch in der Lage war, viele schwere Tage zu überleben. Aus heutiger Sicht würde ich mich an der einen oder anderen Stelle vielleicht taktisch klüger verhalten.
Was meinst du damit?
Ich bin im Betriebsrat sicher etwas zu forsch vorgegangen. Ich wollte die Veränderung, ich wollte etwas zum Guten bewegen, ich wollte Signale setzen und habe mich dabei maßgeblich auf die gesetzlichen Grundlagen des Betriebsverfassungsgesetzes gestützt. Damit habe ich meine Kolleginnen und Kollegen im Betriebsrat vielleicht überfordert. Auf der anderen Seite bin ich mir aber äußerst unsicher, ob eine langsamere Gangart mehr Erfolg versprochen hätte. Schließlich wurde im Hintergrund durch die Geschäftsführung mit allen Mitteln gegen mich agiert. Das Gremium stand immer unter dem Einfluss der Unternehmensleitung. Rationale Entscheidungen sind vor diesem Hintergrund nur schwer zu treffen. Das hatte ich unterschätzt.
Wie haben sich deine Gedanken und Emotionen seit der Degradierung bis heute verändert?
Ich glaube meine Gedanken und Emotionen haben sich seit Beginn der Auseinandersetzung kaum verändert. Hass, Verbitterung und Enttäuschung spielen da schon eine gewichtige Rolle. Obwohl die Geschichte für mich nun ein vorläufig zufriedenstellendes Ende gefunden hat, bin ich doch enttäuscht darüber, dass ich es trotz aller Anstrengungen nicht geschafft habe, für einen positiven Wandel im Unternehmen zu sorgen. Schwer wiegt auch die menschliche Enttäuschung darüber, wie sich manche Kolleginnen und Kollegen während der ganzen Zeit verhalten haben. Das hatte mit Anstand nichts mehr zu tun!
Wie hat sich die berufliche Krise auf dich ausgewirkt?
Ich hatte das große Glück, dass mir körperliche Beschwerden erspart blieben. Einen guten Schlaf hatte ich schon immer. Es war tatsächlich so, dass mir die ganze Angelegenheit nur wenige schlaflose Nächte bereitet hat. Ich würde vielleicht von einigen schlaflosen Stunden sprechen. Auch meine Essgewohnheiten haben sich in diesem Zeitraum nicht verändert, so dass ich körperlich eigentlich immer gesund und in einer guten Verfassung war. Ich hatte auch insgesamt drei Gesprächstermine bei einem Psychotherapeuten, der mir jedes Mal eine überdurchschnittliche Resilienz bestätigte.
Viel schwieriger hingegen war die Gestaltung des Alltags, sowohl im Betrieb, als auch in der Familie. Im Betrieb gab es zum einen den verzweifelten Kampf, den ich als Betriebsrat vor allem auch mit meinen Betriebsratskollegen führte. Zudem waren da die vielen langen Tage, an denen ich mich schlichtweg irgendwie selbst beschäftigen musste, da mir ja keine adäquate Arbeit zugewiesen wurde. Da können acht Stunden schon verdammt lang sein. In der Familie gab es nur wenige Auseinandersetzungen mit meiner Frau, da das Thema doch irgendwo immer präsent war. Sie hat mich in dieser Zeit enorm unterstützt. Wir haben alle Entscheidungen immer gemeinsam getroffen und auch getragen. Ich habe zeitweise versucht, das Thema so wenig wie möglich im Familienkreis anzusprechen, was mir aber nicht immer gelang.
Für mich war es äußerst wichtig, über die Dinge zu reden, selbst wenn es mein Umfeld teilweise schon nicht mehr hören konnte und wollte. In meinem privaten Umfeld gab es auch einige Personen, die mir überhaupt nicht gut getan haben. Das waren insbesondere die Zweifler, die um meine Gesundheit besorgt waren. Sie meinten, dass ich diesen irrsinnigen Kampf doch lieber aufgeben solle. Dem Gespräch mit diesen Menschen bin ich dann so gut es ging aus dem Weg gegangen.
Was rätst du anderen, die in dieselbe Situation kommen?
Es ist schwer hier einen konkreten Rat zu geben. Es kommt immer auf den Fall und auf die handelnden Personen an. Grundsätzlich empfehle ich natürlich jedem, für seine Rechte zu kämpfen. Nicht jeder Mensch ist in der Lage, einen solchen Kampf über mehrere Monate oder gar Jahre durchzustehen. Das ist auch der Grund, warum sehr häufig die Arbeitgeber als Sieger vom Platz gehen, obwohl diese juristisch und auch moralisch gesehen die eigentlichen Verlierer sind.
Arbeitgeber sitzen am längeren Hebel und haben einen größeren Aktionsspielraum, selbst wenn innerhalb dieses Spielraums rechtswidrige Handlungen an der Tagesordnung sind. Mobbing, Bossing, Straining sind beliebte Methoden, die Arbeitgeber anwenden, um Mitarbeiter mürbe und kaputt zu machen. Juristisch greifbar wird das meistens nicht.
Was glaubst du, welche Auswirkungen hat dein Fall auf das Betriebsklima? Wie geht es dort weiter?
Ich weiß nicht, wie das nun weitergehen wird. Die Menschen vergessen sehr schnell und gehen wieder zur Tagesordnung über. Mein Fall hat das Unternehmen sicher tief gespalten und so lange ich da war, war diese Spaltung auch spürbar. Es ist zwar noch genügend Sprengstoff vorhanden, aber es ist nicht absehbar, ob und wann der vielleicht mal zündet.
Kann man sagen, dass das Firmensystem gekippt ist?
Nein auf keinen Fall. So lange Autokraten mit narzisstischen Zügen ein Unternehmen leiten, wird das System nicht infrage gestellt. Es wird vermutlich im selben Stil weitergehen. Systeme ändern sich erst, wenn solche Menschen entfernt worden sind.
Warum verhalten sich die einen Kollegen linientreu, warum sind viele so passiv? Warum steht kaum einer zu dir, wenn es hart auf hart kommt? Ist das eine natürliche Reaktion eines Systems?
Ja, das halte ich in der Tat für die natürliche Reaktion eines Systems. Eigentlich müsste man sagen eine natürliche Reaktion des Menschen. Viele Menschen besitzen eine gewisse Portion Egoismus, vielleicht gibt es auch einen Mechanismus des Selbstschutzes. Die einen versuchen mit Opportunismus und Speichelleckerei durchs Leben zu kommen, andere ziehen Passivität und Gleichgültigkeit vor. Das ist zwar enttäuschend, aber völlig normal.
Wieso hat der autoritäre Narzisst schlussendlich doch nachgegeben?
Letztendlich war es die ausweglose Situation und der drohende Kammertermin, der ja nur bestätigt hätte, dass ich vertragswidrig beschäftigt wurde. Mittlerweile waren die Geschäftsführer sicher auch zu der Erkenntnis gelangt, dass sie sich mit jemandem angelegt hatten, der nicht klein beigeben würde.
Welche Konsequenzen hat es für ihn?
Die Geschäftsführer haben bei vielen Mitarbeitern sicher einen großen Vertrauensverlust erlitten, zumal diese sich in dieser Angelegenheit nicht gerade mit Ruhm bekleckert haben. Auch die Tatsache, dass sich die Geschäftsführung in dieser Affäre mit dem Aufsichtsrat verständigen und dessen Zustimmung für den Aufhebungsvertrag einholen musste, hat sicher Spuren hinterlassen. Ein Glaubwürdigkeitsproblem hat die Unternehmensleitung samt Aufsichtsrat auf jeden Fall.
Was sind deine größten Erkenntnisse aus dieser Zeit?
Die größte Erkenntnis aus dieser Zeit war die Tatsache, dass man niemandem vertrauen kann. Ich hatte bis dato zu den Menschen gehört, die durchaus bereit waren, anderen Menschen zu vertrauen. Hier ist aber bei mir definitiv etwas kaputtgegangen.
Wie war dein letzter Arbeitstag? Gab es einen Abschied? Was hättest du dir gewünscht?
Ich habe an meinem letzten Arbeitstag erst kurz vor Feierabend durch eine E-Mail meiner Anwältin erfahren, dass ich am nächsten Arbeitstag nicht mehr ins Büro kommen muss. Einen Abschied gab es nicht. Ich habe einfach meine Sachen zusammengepackt und bin gegangen. Ob ich mir etwas Anderes gewünscht hätte, ich kann es nicht sagen. Natürlich hätte ich mich gerne von einigen liebgewonnenen Kolleginnen und Kollegen verabschiedet. Mit einigen hatte ich ja schließlich über 30 Jahre zusammengearbeitet.
Du bist jetzt aus dem Unternehmen ausgeschieden. Wenn du auf 34 Jahre im selben Unternehmen zurückblickst, was nimmst du mit aus dieser langen Zeit? 30 von 34 Jahre im Unternehmen waren richtig gute, erfolgreiche und arbeitsreiche Jahre. Auf diese blicke ich gerne mit Stolz und Freude zurück. Allerdings habe ich auch erkannt, dass man sich seiner Sache nie zu sicher sein darf und vielleicht frühzeitig auf Warnsignale hören sollte. Wenn ich das getan hätte, wäre vielleicht schon früher Schluss gewesen. Man kann nun darüber streiten, ob es gut oder schlecht ist, wenn man so lange einem Unternehmen treu bleibt. Da gibt es Für und Wider.
Wie geht es für dich jetzt weiter?
Da bin ich mir noch nicht sicher. Ich hatte mich im Alter von 52 Jahren ja schon am Arbeitsmarkt umgeschaut und keine adäquate Stelle gefunden. Mit 54 wird’s nun auch nicht einfacher. Ziel ist es natürlich wieder einen Job zu finden, entweder in einem festen Anstellungsverhältnis oder als freier Mitarbeiter im IT-Bereich. Den richtigen Tagesrhythmus zu finden ist schwieriger, als ich mir gedacht habe. Viel Zeit zu haben kann etwas Tolles sein, aber es spricht auch einiges für einen geregelten Tagesablauf, den ich ja 34 Jahre gewohnt war. Ich habe derzeit noch geringfügig Arbeit mit meinem Nebengewerbe als IT-Dienstleister, das ich vor knapp zwei Jahren angefangen habe. Daneben kümmere ich mich natürlich verstärkt um häusliche Aufgaben und meine Kinder.
Was konntest du schon loslassen? Wo haderst du noch?
Also die Firma konnte ich schon ganz gut loslassen und ich habe keine Sekunde bedauert, nicht mehr dort zu sein. Ich hadere auch nicht – die Dinge sind einfach wie sie sind.
Lieber Leser, puuh ein langer Artikel war das! Ich freue mich natürlich über Kommentare und Reaktionen, gerne auch als persönliche Nachricht.