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Jobkiller Schwangerschaft

Ambitionierte Mitarbeiterin landet nach Elternzeit und
Karriereknick auf Abstellgleis


Interview mit Ines V., 42 Jahre, Bildungsreferentin


Wie lange warst du im Unternehmen?

12 Jahre habe ich für einen Konzern in der Versicherungsbranche gearbeitet.


Was genau waren deine Aufgaben?

Direkt nach der Uni stieg ich als Blended Learning Expertin ins Service-Team ein. Mein Aufgabenbereich war sehr vielfältig:

• Ich schrieb Drehbücher und war für die Produktion von Lernsoftware verantwortlich. Dabei koordinierte ich die Redakteure, Grafiker, Programmierer und das Tonstudio.

• Zusätzlich habe ich das Vertriebssystem unterstützt und Fachanforderungen an die IT geschrieben.
• Dann war ich Teilprojektleitung in großen Rolloutprojekten sowohl bei Produkt- als auch bei Systemrollouts.
• Später habe ich unternehmensintern Aufträge akquiriert, Qualifizierungsstandards für Servicemitarbeiter und –prozesse sowie E-Learning-Standards entwickelt.


Wie würdest du die Machtstruktur in der Firma beschreiben?

In der Firma dominierten Männer das Geschehen. Es ging sehr hierarchisch zu. Platzhirschgehabe in Besprechungen war normal. Mein Chef-Chef suchte sich mal den einen, mal den anderen aus, um ihn zu testen oder auch mal vor versammelter Mannschaft herunterzumachen.


Wie war dein Chef?

Mein direkter Chef war in den ersten Jahren sehr väterlich. Durch ihn lernte ich den Umgang mit Firmenpolitik. Er brachte mir auch das Handwerkszeug eines guten Projektmanagers bei, war offen für meine Ideen, lobte mich, zeigte Anerkennung. Beim Thema Gehaltserhöhung oder Fortbildungskosten war er dagegen knauserig.


Was ist passiert?

Ich wurde schwanger. Mit sofortiger Wirkung wurde ich von allen Projekten und Dienstreisen abgezogen. Mein väterlicher Förderer reagierte eiskalt. Er war wie ausgewechselt, schrieb mich komplett ab. Bis dahin dachte ich aber noch, dass ich mir das einbilde und schon alles gut werden wird. Es kam noch schlimmer. Acht Wochen nach der Geburt leitete ich einen Strategieworkshop der Abteilung. Da ich stillte, hatte ich meine Großmutter und mein Baby mit dabei.

Nach dieser Veranstaltung wurde ich über nichts mehr informiert. Neun Monate später, ich war ja in Elternzeit, bot mir die Personalabteilung einen Krippenplatz in der neu eröffneten Betriebskindertagesstätte an. Diesen habe ich angenommen und meinem Chef angeboten schon stundenweise wieder anzufangen, da die Firma a) den Platz subventioniert und b) ich Zeit hatte. „Wir brauchen Dich hier nicht“, bekam ich als Antwort. Es tat weh, das zu hören.


Wie erklärst du dir sein Verhalten?

Er stellte vornehmlich jüngere Mitarbeiterinnen ein. Diese förderte er zunächst. Sobald diese schwanger wurden, hörte er auf, in sie zu investieren. Es war immer wieder dasselbe Muster. Er selbst hätte gerne Kinder gehabt. Seine Frau konnte keine bekommen. Er sagte, dass ich das Geschenk habe, was er nicht haben darf. Mein Chef konnte nicht verstehen, dass ich noch freiwillig arbeiten wollte, anstatt zu Hause zu sein und mich vollständig um mein Kind zu kümmern.

Er zog mich von meinen Projekten ab, um mich quasi vor mir selbst zu schützen. Für meinen Geschmack mischte er sich zu sehr ins Private ein. Das war schon übergriffig.


Wie ging es dann weiter?

Mein Plan war, nach einem Jahr wiederzukommen und mit mindestens 28 Stunden Teilzeit in Elternzeit zur Verfügung zu stehen. Nach Ende des Elternzeitjahres bin ich in die Abteilung zurückgekehrt. Meine Elternzeitvertretung leitete nun als Abteilungsleiterin das Team der E-Learning-Produktion. Diese Position hatte vorher jahrelang in meinem Entwicklungsplan gestanden. Mein Traum zerplatzte innerhalb von Sekunden. Aber es kam noch schlimmer. Ich wurde aus dem Aus- und Weiterbildungsteam ausgeschlossen und fand mich plötzlich im Qualitätsmanagement wieder. Dort hatte ich die ersten sieben Monate keine Aufgabe.

Ich saß einfach da, fragte Kollegen, ob ich helfen kann, zählte Belege und langweilte mich. Gleichzeitig war mein 12 Monate altes Baby in der Ganztagsbetreuung untergebracht. Das war das Schlimmste für mich. Mehrfach suchte ich intern das Gespräch – nichts. In dieser Zeit bewarb ich mich extern, bekam aber nur Absagen. Wer nimmt schon eine frischgebackene Erstlingsmutter in Teilzeit auf einer anspruchsvollen Position? NIEMAND! Also hielt ich aus.

Auch vom Betriebsrat bekam ich keine Unterstützung. Eine Kollegin hat dann mit dem vorherigen Chef gesprochen und gesagt, dass sie dauerhaft 100 Überstunden vor sich herschiebt. Sie bat ihn, mir doch das neue Projekt mit Trainingskonzeption zu übertragen. Diesmal klappte es. Ich bekam das neue Projekt und war erstmal zufrieden.







Vier Jahre später wurde ich dann mit dem 2. Kind schwanger. Ein Jahr später kam ich wieder aus der Elternzeit zurück und kam in die Beschwerdeanalyse. Alle Ressort-Führungskräfte fragten mich, wann ich denn wieder in Projekten und für die Weiterbildung ihrer Mitarbeiter aktiv werden würde. Da musste ich dann immer sagen: „Ich weiß es nicht, bisher mache ich die Beschwerden.“ Ich konnte ihnen ja schlecht ins Gesicht sagen, dass mein Chef mich abgesägt hat, ich mich langweilte und liebend gerne für sie arbeiten wollte.

Wieder wendete ich mich an den Betriebsrat, bei dem ich mittlerweile selbst Mitglied war. Offiziell hatte ich schließlich immer noch einen Vertrag als Bildungsreferentin und nicht als Beschwerdesachbearbeiterin. Parallel hatte ich interne Gespräche geführt, um in eine andere Abteilung zu wechseln. Alle Bestrebungen führten jedoch ins Nichts. Ich bin dann wieder ausgestiegen und in ein weiteres ungeplantes Elternzeitjahr geflüchtet.


Wie kam es zum Jobende? Was sind die Gründe?

In der Elternzeit habe ich mich an eine Anwältin gewandt. Sie meinte nur: „Frau V., Sie werden seit 7 Jahren gemobbt. Warum sind sie erst jetzt hier?“ Dann habe ich mich an die Personalabteilung gewandt und das erste Mal ausgesprochen, was ich lange ahnte, mir aber nie eingestanden hatte. Ich wurde gemobbt und bat um Unterstützung, die Abteilung nach dem Ablauf des Elternzeitjahres zu wechseln.

Die Personalmitarbeiterin wies mich jedoch in die Schranken. Ihre Antwort war: „Sie haben einen unbefristeten Vertrag und einen Platz in der Abteilung X. Da könnte sie nichts machen.“ In dem Moment war ich so verzweifelt, dass ich spontan unter Tränen sagte: „Entweder Sie helfen mir da raus oder Sie machen mir ein Angebot.“


Wie war der Ablauf der Kündigung? Wie verlief das Trennungsgespräch?

Eine Woche später hatte ich einen Auflösungsvertrag mit einer kleinen Abfindung im Briefkasten. Ohne Gespräch, ohne Worte. Ich konnte es nicht fassen.


Wie hast du reagiert?

Ich habe erstmal geweint. Dann gab ich die Angelegenheit an meine Anwältin ab. Sie meinte trocken: „Ach mal wieder eine. Das ist ja nix Neues. Da kann ich ja schon ein Standardschreiben verwenden.“ Offensichtlich war ich also kein Einzelfall. Sie übernahm den Schriftverkehr und die Kommunikation mit HR. Somit war ich aus der Schusslinie. Sie gab mir Sicherheit und boxte mich raus.

Ich war darüber sehr erleichtert, zumal ich das Gefühl hatte, dass mir die Personalabteilung in den Rücken gefallen war. Abgesehen davon war ich in dem Moment total emotional und überfordert.


Welche Ausstiegskonditionen hat deine Anwältin noch für dich ausgehandelt?

• Eine höhere Abfindung
• Ein gutes Zeugnis (Tipps: Zeugnis vor der Elternzeit ausstellen lassen)
• Freistellung
• Den Firmenlaptop durfte ich behalten. 


Erzähl mal, dein letzter Arbeitstag, wie war der?

Den gab es quasi nicht. Ich war dann noch einmal da, um meine Sachen aus meinem Schreibtisch zu holen. Das habe ich zu einer Zeit gemacht, in der wenige Kollegen in der Abteilung waren.

Ältere Kollegen zollten mir Respekt, dass ich so gekämpft habe und wünschten mir alles Gute. Die Damen, die von meinem Abgang am meisten profitierten, schwiegen nur betreten.


Was war die stärkste Emotion?

In der Zeit war ich in keiner guten Verfassung. Parallel zu der Ablehnung auf der Arbeit erfuhr ich, dass meine Mutter unheilbar an Krebs erkrankt war. Auch meinem Sohn ging es gesundheitlich überhaupt nicht gut. Ich hatte einfach Angst, war mit der Gesamtsituation überfordert, wusste nicht damit umzugehen. Zu allem Übel versuchte ein mir nahestehender Kollege sich das Leben zu nehmen. Ich selber hegte auch seit längerem Selbstmordgedanken.

Ich wollte nicht mehr, zweifelte an mir, an meiner Ehe, an meiner Ausbildung, an allem. Niemand wusste, wie schlecht es mir wirklich ging. Alles schien sinnlos. Meine Rettung war mein damals vierjähriger Sohn als er sagte: „Mama, Du lachst nicht mehr.“ Meine Kinder spürten, dass es mir einfach nicht gut ging. Ich war schnell genervt, oft traurig, aufbrausend. Mein Sohn hat mir schließlich die Klatsche gegeben, die ich gebraucht habe, um aktiv zu werden.


Wer wendete sich von dir ab? Wer unterstützte dich?

Kollegen, mit denen ich in guten Zeiten beim Feiern und beim Wellness war, wandten sich komplett ab. Sie sprachen kein Wort mehr mit mir, schnitten mich. Einige machten beim Mobbing mit. Besonders eine Kollegin, die immer neutral war, hat mir übel mitgespielt. Ich war menschlich sehr enttäuscht. Profitiert von meinem Abgang haben vor allem die beiden Elternzeitvertretungen.

Loyal waren vor allem die Männer der Abteilung und die älteren Mitarbeiter. Gefördert und unterstützt hat mich der Betriebsrat, aber leider ohne Durchsetzungskraft. Ohne meinen Mann und meine Kinder hätte ich das Alles nicht überlebt.


Wie gingst du mit der Situation um? Was würdest du heute anders machen?

Ich habe offen gekämpft und offen angeprangert. So kam ich zum Beispiel nach dem 1. Kind wieder in den Betrieb zurück und wurde in den Betriebsrat gewählt. Dort hatte ich immer wieder Beratungsfälle mit Frauen in Stab- oder Referentenstellen und Führungspositionen. Sie kamen nach der Elternzeit zurück, wurden praktisch degradiert und erhielten weniger Gehalt.

Ein Abteilungsleiter machte keinen Hehl aus seiner Anschauung und erklärte vor dem Betriebsrat, dass Mütter in seiner Abteilung in der Führungsrolle nichts zu suchen hätten. Im Protokoll musste seine Aussage dann später wieder entfernt werden. Geschadet habe ich mir mit meiner kämpferischen Art letztendlich nur selbst.


Wie zufrieden warst du mit deinem Anwalt?

Der erste war ein Vollpfosten, der mich falsch beraten hat. Die zweite, die das alles auch abgewickelt hat, war super. Sie war eine Empfehlung unseres Betriebsrates.


Hattest du eine Rechtsschutzversicherung?

Ja, Gott sei Dank. Die hat alles gezahlt. Ich hatte eine Selbstbeteiligung in Höhe von € 150,00. Selbst die Zeugnisprüfung wurde übernommen.


Hast du dich persönlich durch diese Erfahrung verändert? Wenn ja, wie?

Ja, mein ganzes Leben hat sich verändert. Ich bin ruhiger, dankbarer, zufriedener, achtsamer und habe vor allem mehr Selbstvertrauen. Ich bin eine glühende Kämpferin für Frauenrechte geworden, denn ich habe sehr viele Frauen erlebt, die aufgrund der Mutterschaft ähnlich abserviert wurden.

Was würdest du heute anderen raten, die in eine solche Situation kommen? Sich beim ersten komischen Bauchgefühl externen Rat holen. Zuversichtlich sein und raus aus der Opferrolle!


Wie ging es mit dir nach Jobende weiter? Wie nutzt du die freie Zeit?

Ich war völlig aus der Bahn geworfen. Nachdem mein Sohn mir sagte, dass ich nicht mehr lachen würde, nahm ich mir einen Business Coach. In nur drei Terminen war ich so aufgeräumt, dass ich sehr kraftvoll in die Selbstständigkeit gestartet bin. So schrieb ich meinen Businessplan, akquirierte die ersten Kunden und merkte, dass ich es kann.

Das tat mir einfach gut. Gleichzeitig habe ich extrem viel dazugelernt: Buchführung, Wunschkunden, Online-Marketing, Personalführung, Vertragswesen usw. Lustiger weise bekam ich auch attraktive Teilzeitangebote, die ich jedoch ablehnte.


Was genau machst du jetzt?

Im Grunde mache ich das Gleiche wie vorher als Angestellte: Als Freelancer bin ich im Bereich Training, Digitalisierung und Change Management unterwegs, schreibe Trainingskonzepte, bilde Trainer aus und arbeite bei Software Rollouts mit.


Wie war dein Stresslevel in dieser für dich schwierigen Zeit?

Extrem hoch. Ein Jahr nach dem Ausstieg aus der alten Firm bin ich einer ehemaligen Betriebsratskollegin über den Weg gelaufen. Die fragte mich dann, ob ich eine Schönheits-OP hatte. Meine Körperhaltung und auch meine Gesichtsfalten waren um 10 Jahre jünger. Was waren die stärksten Emotionen? Herzrasen, Angstschweiß, Schwindel, Ohrenpfeifen und nah am Wasser gebaut – das volle Programm.


Wie bist du mit Wut umgegangen? Gingst du zum Sport oder in die Kneipe?

Ich bin aggressiv Auto gefahren. Es war ein Glück, dass da nichts passiert ist. Nachts habe ich mir ausgemalt, wie ich meinen Chef mit Dartpfeilen abschieße. Dazu habe ich viel geweint.


Wie haben sich die Emotionen seit dem Ausstieg verändert?

Irgendwann schrieb ich meinem alten Chef eine E-Mail, in dem ich mich bedankte. Ich hab das gemacht, weil ich bis dahin noch nicht abschließen konnte. Seine Reaktion war schön und hat gezeigt, dass er respektiert hat, dass ich mich nicht verbiegen lasse. Damit war das Thema abgeschlossen. Inzwischen fühle ich mich wie neu geboren.


Bist du eher jemand, der die Dinge mit sich selber ausmacht?

Nein, ich muss reden.


Was hast du mitgenommen aus dieser Zeit?

Man kommt wegen einem Unternehmen, man geht wegen einer Führungskraft. Mein Gewinn ist meine Zuversicht und das Bewusstsein, dass ich was kann und ein starkes Wertegefüge habe. Dieses Bewusstsein führt heute dazu, dass ich auch Aufträge oder Kooperationen ablehne, wenn ich den Eindruck habe, dass da etwas nicht stimmt.


Essgewohnheiten verändert? Gewichtsschwankungen?

Ich habe gelernt, dass mein Körper emotionalen Stress in Fett umwandelt. In der stressigen Zeit habe ich 15 kg zugenommen. Damit kämpfe ich immer noch.


Du weisst ja, meine Marke heisst: „Ich wurde gefeuert – zum Glück“ Was ist dein Glück?

Heute führe ich ein kleines Unternehmen mit zwei Mitarbeitern. Ich mache das, was mir Spaß macht, kann mich voll entfalten. Das fühlt sich unglaublich gut an. Dazu kommt das Glück zu wissen, eine pflegeleichte Tochter und einen wunderbaren Mann zu haben, der mich immer unterstützt. Mein weiser Sohn, der wahnsinnig feine Antennen besitzt, hat mir quasi das Leben gerettet. Das ist mein Glück!



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