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Unglücklich im neuen Job

 

42-jähriger Familienvater verliert seine Arbeit und bereut übereilten beruflichen Neustart


Schon länger steht die gesamte Autoindustrie massiv unter Kostendruck. Ob Hersteller oder Zulieferbetrieb, flächendeckend werden Sparpotenziale analysiert und der Rotstift angesetzt. Auch die Firma, für die Claas J. bereits seit 8 Jahren als strategischer Einkäufer arbeitet, bekommt den Druck zu spüren.
Ganze Abteilungen werden ins Ausland verlagert. Auch sein Arbeitsplatz fällt den Rationalisierungsmaßnahmen zum Opfer. Er unterschreibt einen Aufhebungsvertrag. Der Jobverlust fällt mitten in den Ausbruch der Corona-Pandemie und den ersten Lockdown.
Nicht nur der Arbeitsmarkt in seiner Branche ist angespannt. Viele Firmen reagieren verhalten in diesen Monaten, legen Stellenausschreibungen auf Eis. Keiner weiß, was kommt. Der 42-jährige Familienvater von zwei Kindern schreibt an die 30 Bewerbungen und hat Glück.
Er kommt bei einem branchenfremden Betrieb schneller unter als erwartet. Voller Dankbarkeit für die neue Chance in dieser ungewissen Zeit nimmt er die neue Arbeitsstelle an. Allerdings ist es eine reine Kopfentscheidung und Kompromisslösung.
Er sagt aus Vernunftgründen zu, obwohl sein Bauch nein zu dem neuen Job sagt. Seine Begeisterung für die neue Aufgabe hält sich in Grenzen. Er ist zuständig für den Einkauf eines SAP Systems im Rahmen einer EU-weiten Vergabe unter Gültigkeit des Sektorenvergaberechts.


Was ist dann passiert?


Schon wenige Wochen nach dem Antritt der neuen Arbeitsstelle bereut er seine Entscheidung. Sein Bauchgefühl sollte sich bewahrheiten. Er wird nicht richtig eingearbeitet und stört sich an der Meeting-Unkultur in der neuen Firma.
Es fällt ihm schwer, mehrere Stunden in Terminen zu sein und stundenlang zu schweigen. Am meisten macht ihm jedoch das Verhältnis zu seiner neuen Chefin zu schaffen. Sie ist ihm einfach unsympathisch.
Sie ist eine alteingesessene Dame mit viel fachlicher Erfahrung aber ohne Führungskompetenz. Die Folgemonate entwickeln sich zur Qual für ihn, da ihm endgültig bewusst wird, dass er nicht in das neue Firmensystem gehört und der Job ihn inhaltlich nicht begeistert.
Innerlich kündigt er bereits. Kaum im neuen Job angekommen, beginnt er schon wieder sich am Markt umzuschauen und nach passenden Stellen zu suchen. Inzwischen greift schon der zweite Lockdown um sich.
Wieder ist ein Großteil der ausgeschriebenen Stellen wie weggeblasen. Sein Beschluss, das Unternehmen zu verlassen, steht dennoch fest, auch als er auf sich irgendwann besser in der neuen Aufgabe fühlt, eine bessere Routine hat und Home Office genießt.
Das Verhältnis zu seiner Chefin bleibt angespannt. Die Chemie stimmt einfach nicht.


Wie gingst du bei der Jobsuche vor?


Neun Monate habe ich nach neuen passenden Stellen in meiner Nähe in den gängigen Jobportalen geschaut.

Meine Bewerbungsstrategie sah jetzt so aus, dass ich mich diesmal konzentriert auf Ausschreibungen bewarb, die mich wirklich angesprochen haben.
Ich war dieses Mal ja in der komfortablen Lage, selbst kündigen zu können und nicht gekündigt zu sein.


Wie viele Bewerbungen hast du geschrieben?


5 ungefähr.


Wie war die Quote? Wie viele Bewerbungsgespräche hattest du?


Drei Gespräche und davon eine Zusage.


Wie bist du dann zum neuen Job gekommen?


Ich bewarb mich offiziell per elektronischer Bewerbung. Erst hatte ich ein Telefoninterview und dann ein persönliches Gespräch. Kurz vor meinem anstehenden Sommerurlaub bekam ich die Zusage und war einfach nur erleichtert. Kurze Zeit später habe ich dann endlich selber gekündigt.


Wie war der Ablauf der Kündigung?


Meine Chefin war überrascht. Immerhin war ich der erste, der bei ihr kündigte. Sie reagierte verärgert mit den Worten: „Na ja, wenn Du Dich nicht wohl fühlst bei uns, dann musst Du halt gehen. Tschüss, schönen Urlaub.“

Sie hat meine Entscheidung nicht verstanden und auch nicht für gut geheißen. 

Bei mir überwogen Freude und Stolz, mein Unglück angepackt und nach Alternativen gesucht zu haben, was ja letztendlich auch belohnt wurde.

Alle in meinem Umfeld haben sich für mich gefreut, weil sie wussten wie unglücklich ich gewesen war.


Wie lange warst du dann in der „neuen Firma“?


14 Monate.


Wer oder was hat dir in der Situation geholfen?


Meine Freunde, mein aufgebautes Netzwerk und vor allem meine Frau.


Wurdest du freigestellt?


Nein, ich hatte noch Resturlaub und Überstunden. Die Übergabe meiner Aufgaben verlief reibungslos. Ich hinterließ einen „sauberen Tisch“.


Hast du dich persönlich durch diese Erfahrung verändert? Wenn ja, wie?


Nein, ich glaube nicht.

Ich bin immer noch dankbar für die Chance und darüber, nicht arbeitslos geworden zu sein in einer schwierigen Corona Zeit. Aber der neue Job, ich und die Leute passten einfach nicht zusammen. Das musste ich anerkennen und handeln.


Was würdest du heute anderen raten, die in eine solche Situation kommen?


Mein Rat wäre, nicht „einfach woanders“ hinzugehen, sondern genau zu prüfen, wo es passen könnte, zumindest solange man selbst entscheiden kann, wer das Arbeitsverhältnis kündigt.

Ich empfehle anderen Betroffenen, nicht einfach so zu „gehen, um zu gehen“. Es hilft nicht „von etwas weg, sondern zu etwas hin zu wollen“.


Wenn du auf das vergangene Jahr zurückblickst, welche Schlagwörter beschreiben am besten deine berufliche Situation?


Meeting-Unkultur, schlechte Führung, keine Motivation, kein Freude an der Arbeit, das Ganze gepaart mit Corona und Kindern daheim. Nicht schön!


Wie war dein Stresslevel in dieser für dich schwierigen Zeit?


Sehr hoch. Ich war nahe an der Krankschreibung dran.


Was waren die stärksten Emotionen insgesamt?


Unzufriedenheit und Druck.


Gab es Schwachpunkte oder Unpässlichkeiten?


Ich hatte keine Lust mehr auf irgendetwas, suchte Streit.


Wie bist du mit Wut umgegangen?


Um mich abzureagieren habe ich lange Spaziergänge gemacht, viele Telefonate mit Freunden geführt, die sich immer die gleiche Leier anhören mussten.


Wie haben sich die Emotionen seit dem Ausstieg verändert?


Ich bin froh, weg von der Firma zu sein, losgelassen habe ich sofort.


Wo stehst du jetzt?

Vor sechs Wochen habe meinen neuen Arbeitsplatz als Facheinkäufer Elektrifizierung in einem Konzern gestartet. Ich bin zurück in der freien, nicht regulierten Industrie und das ist toll für mich. Das Unternehmen ist riesig, daran muss ich mich erst gewöhnen.
Hier habe ich sicher auch gute Möglichkeiten voranzukommen.


Wie zufrieden bist du mit den Konditionen?


Ich habe eine 35h Woche und verdiene insgesamt etwas weniger als vorher, aber das ist mir die Sache wert. Beruf und Familie unter einen Hut zu bekommen ist das, was zählt. Meine Frau hat vor kurzem ebenfalls eine berufliche Veränderung erfahren und eine Teamleiterstelle angetreten.
Wir unterstützen uns gegenseitig bei der Kinderbetreuung. Der Arbeitsweg zur neuen Firma ist 15-20 Minuten länger als vorher. Immerhin kann ich mit dem Fahrrad dorthin fahren. Ein besonderer Pluspunkt ist, dass ich meine private Altersvorsorge, die 1 Jahr stillgestanden war, in dem neuen Betrieb weitermachen kann.
Das war ein gewichtiger Grund zugunsten meines neuen Arbeitgebers.


Wie war dein 1. Arbeitstag?


Ich wurde mit den Worten: „Guten Morgen, schön dass du da bist“ herzlich willkommen. Alle duzen sich hier. Die Grundstimmung ist gut.


Wie ist dein neuer Chef?


Der erste Eindruck passt. Man kann über alle Themen sprechen. Führung ist hier kein Fremdwort. Er lässt mir viel Freiraum, das Ergebnis muss stimmen.


Was ist dein nächstes Ziel?


Erstmal die Probezeit überstehen. Dann sehen wir weiter.


Ich wurde gefeuert – zum Glück! Was ist dein Glück?


Mein Glück ist, dass ich dieses Mal nicht gefeuert wurde, sondern selbst entschieden habe.



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