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Automobilzulieferer verliert COO

Kein Bock mehr auf Machtgerangel in der Chefetage


Die Autoindustrie steht unter Veränderungsdruck. Umsatzzahlen in den stärksten Märkten sind rückläufig. Gleichzeitig werden hohe Investitionen in neue Technologien getätigt. Der Wandel betrifft die komplette Branche: Hersteller, Zulieferer und zum Schluss die Mitarbeiter in den jeweiligen Unternehmen. Zulieferer haben darauf schon mit Sparprogrammen, Abbau von Arbeitszeitkonten, Personalreduzierung, Standortverlagerung und Werkschließung reagiert.
Jeder erlebt den Umbruch auf seine Weise und geht auch anders damit um.
Die einen geraten dadurch auf die Seite der Verlierer. Für andere ergeben sich neue Chancen auf Erfolg.
Einer, der mitten im beruflichen Umbruch steckt, ist Helmut W., 47. Die letzten 18 Jahre hat er bei einem großen Automobilzulieferer gearbeitet, zuletzt als COO. Als Geschäftsführer einer Gesellschaft innerhalb des 5 Mrd. Umsatz Konzerns verantwortete er mehrere Produktionsstandorte in Europa mit 1300 Mitarbeitern. Ich habe mit ihm ein Interview geführt und die Erlaubnis erhalten, dieses in anonymisierter Form zu veröffentlichen.

Was ist passiert?

Nach langer Betriebszugehörigkeit im selben Unternehmen habe ich um Auflösung meines Arbeitsvertrages gebeten und einen Aufhebungsvertrag unterzeichnet. Wie kam es dazu? Mein Arbeitsumfeld wurde zum Ende hin unerträglich. Je länger ich im Unternehmen arbeitete und je erfolgreicher ich wurde, desto mehr fürchteten sich andere. Es gab fachlich gute und menschliche Kollegen sowie Vorgesetzte mit einer professionellen Arbeitsweise. Mit denen machte es Spaß, das Unternehmen voran zu treiben. Daneben bewegte ich mich in einem Haifischbecken mit Arschlochfischen, Narzissten, Egoisten und Neidern. 8-9 Jahre lang erlebte ich Beleidigungen, Denunzierungen und Mobbing. Ich lernte mit bestimmten Dingen „umzugehen“, „arrangierte mich“ oder glaubte das zumindest. In Wahrheit schluckte ich mehr als gut und gesund war. Ich war ein besonders sturer Ignorant und habe mehrere eigentlich untragbare Phasen ignoriert und „Stärke“ bewiesen!

Warum wollten deine Gegner, dass du gehst?

Ich stand für Offenheit, Ehrlichkeit und Transparenz. Das hat vielen überhaupt nicht gepasst. Sie fürchteten, dass ich Ihnen mit meinem Verhalten schaden könnte. In großen Meetings habe ich zum Beispiel unangenehme Fragen gestellt, wollte auch die kaufmännischen Zahlen und Berichte verstehen. Letztes Jahr haben sich die Dinge zugespitzt. Es war bekannt, dass ein neuer CEO kommt. Diejenigen, die mir nicht wohlgesonnenen waren, hatten Angst davor, dass der neue Chef und ich uns gut verstehen könnten, da wir von der Mentalität her ähnlich waren. Ich hätte dadurch stärker zur Gefahr für die anderen werden können. Es ist mir allerdings erst im Nachhinein bewusst geworden, dass das mit der Grund sein könnte, gegen mich vorzugehen und Unwahrheiten über mich zu verbreiten. Meine Gegner forcierten meinen Ausstieg aus der Firma. Mehrere Mitglieder des Vorstands wollten mich jedoch nicht gehen lassen. Sie schafften es jedoch auch nicht, mir wirkliche Alternativen zu bieten. Am Ende führten nicht haltbare, nicht belegbare und falsche Anschuldigungen und Anfeindungen dazu, dass ich um Auflösung meines Arbeitsvertrages bat. Selbst ein verlockendes Angebot des neuen CEO schlug ich bei aller Liebe und Sympathie zum Unternehmen nach reiflicher Überlegung aus. Es fühlte sich einfach nicht stimmig an.

Warum war die Vertragsauflösung kompliziert?

Ich rannte 10 Wochen lang der Auflösung meines Vertrages hinterher. Es fiel mir schwer in dieser Zeit einfach zuhause zu sitzen und abzuwarten, dass sich doch noch eine neue passende berufliche Aufgabe im Konzern auftat. Eine Zusammenarbeit mit dem neuen CEO hätte ich mir schon vorstellen können, allerdings nicht in der der vergifteten Arbeitsumgebung. Ich war in dem Moment einfach noch nicht soweit, war nicht sicher, ob ich das wirklich will. Im Endeffekt kamen die Verantwortlichen meiner Bitte nach. Im abschließenden Trennungsgespräch verhandelten wir meine Freistellung und Abfindung.

Hattest du eine Rechtsschutzversicherung?

Nein.

Wie war deine Reaktion nach Unterzeichnung des Aufhebungsvertrages?

Es war letztendlich eine Befreiung mit einer gehörigen Portion Ungewissheit im Sinne von was kommt jetzt! In den Wochen danach berechnete ich tausendmal wie lange ich finanziell über die Runden komme und was ich zum Glücklich sein brauche.

Wer in deinem Umfeld war von deinem Ausstieg betroffen? Wie hat das Umfeld reagiert?

Natürlich die Familie, meine Mitarbeiter! Meine Familie hat mich unterstützt und in meiner Entscheidung bekräftigt. Viele in der Firma waren fassungslos. Auch für die brach erstmal etwas zusammen. Die hätten nie damit gerechnet, dass ich nicht mehr komme. Loyal waren diejenigen, die schon immer durch Charakter aufgefallen sind. Es gab auch Kollegen, von denen ich seit meinem Weggang nichts mehr gehört habe. Die, die meinten zu profitieren, bereuen es mittlerweile, zumindest diejenigen, die sich selbst reflektierten.

Wie war dein Stresslevel in dieser für dich schwierigen Zeit?

Ganz am Anfang dachte ich, dass ich überhaupt keinen mehr habe. Da habe ich mir wohl etwas vorgemacht. Dann hat es sich gedreht und war sehr hoch. Dazwischen gab es auch Zeiten, wo ich das Leben sehr genossen habe. Da war der Stresslevel sehr niedrig. Das war so wie eine Auszeit nehmen. Jetzt schlägt das normale Leben wieder zu. Ich merke schon eine gewisse Anspannung. Das gehört dazu. Aktuell liege er auf einer Skala von 1-10 bei 5 oder 6. Meine Schlafgewohnheiten waren in den letzten Monaten normal bis katastrophal. Mal schlief ich gut, mal wachte ich auf und grübelte. Es war ein auf und ab.

Was waren die stärksten Emotionen?

Ich war enttäuscht, gekränkt, durchlebte eine Gefühlsachterbahn mit Existenzangst und Erleichterung im schier unendlichen Wechsel. Mein Selbstwert rutschte in den Keller. Wut und Mut wechselten sich munter ab. Bei der Wut ging es mehr um gewisse Leute, die eine ganz starke Rolle gespielt haben in dem Ganzen. Das war es eigentlich immer wieder. Es ging weniger um das WARUM, sondern eher um den Schrei nach Gerechtigkeit. Kann jetzt bitte jemand kommen und die Leute verurteilen.

Wie hat sich das im Körper bemerkbar gemacht?

Ich neige da eher zu Rückenschmerzen in der Lendenwirbelgegend. Das war dann auch so. Zum Glück habe ich das gut durch Sport kompensiert. Dann neige ich in solchen Momenten auch zur Neurodermitis. Den Druck und die Wut spürte ich stark im Brustbereich.

Wie bist du mit der Wut umgegangen? Gingst du zum Sport oder in die Kneipe?

Ich habe verschiedene Sachen ausprobiert. Mal tat mehr dies gut und mal das andere. Sicherlich habe ich schon mal ein paar Bier getrunken in dieser Wut. Sport war jedoch wichtig für mich. Der hat mich schon immer sehr begleitet. Ich bin die letzten Jahre viele Mountainbike Marathons gefahren nach Leistung. Die letzten Monate hat sich das etwas verändert. Es geht jetzt weniger um Leistung, sondern um die Freude dabei. Druck ist nicht mehr da. Dann gab es Momente, in denen ich das für mich sein gesucht habe. Oder ich habe einen langen Spaziergang im Wald gemacht und geschrien. Das mache ich im Auto auch schon mal gern, wenn keiner dabei ist. Ich war einfach wütend und ließ es raus.

Wie haben sich die Emotionen seit dem Ausstieg verändert? Was konntest du schon loslassen?

Die Wut auf bestimmte Personen in der Firma ist nun nicht mehr da. Sie haben ganz stark verursacht, dass wir uns getrennt haben und ich gegangen bin. Ich weiß ja, dass viele Intrigen gesponnen wurden. Über die kann ich inzwischen größtenteils lächeln, weil jetzt der Schuss nach hinten losgeht. Die waren schon erfolgreicher, als ich noch da war. Das ist natürlich auch für mich eine Genugtuung. Da ist jetzt eher eine Traurigkeit, weil so viel in der kurzen Zeit, seit ich weg bin, kaputtging. Viele Kollegen, die bei mir direkt angesiedelt waren, denken darüber nach, das Unternehmen zu verlassen. Sie fühlen sich nicht mehr wohl. Ich bedaure, dass das, worauf ich so viel Wert gelegt habe, nun nicht mehr existiert. Es tut mir für die Firma leid und auch für den Unternehmensgründer, weil der etwas ganz anderes vorhatte.

Wie erging es dir auf der Suche nach einem neuen Job?

Insgesamt habe ich circa 30 Bewerbungen geschrieben. Stellen habe ich in den gängigen Stellenportalen gefunden oder auf Xing sowie Linkedin. Es gab Jobangebote von Firmen, bei denen hätte ich anfangen können, lehnte sie jedoch ab. Ich habe irgendwann in der Bewerbungsphase bemerkt, dass ich die Bewerbungen eigentlich nur schrieb, um mein Gewissen zu beruhigen. Im Nachhinein habe ich mich auf viele unsinnige Stellen beworben. Die Zeit hätte ich mir wirklich sparen können. Irgendwann reichte es mir. Ich sah ein, dass es mir in dem Moment nichts brachte. Stattdessen fing ich an, mich mehr darauf zu konzentrieren, was ich wirklich will und was mir schon immer Spaß gemacht hat.

Wann kam das erste Mal das Thema Selbstständigkeit auf?

Die Idee, etwas Eigenes zu machen, war relativ früh da, weil ich die letzten 2-3 Jahre von guten Bekannten immer wieder damit konfrontiert wurde. Sie fragten mich, warum ich mich nicht selbständig machen würde. Eine Antwort hatte ich nicht wirklich. Es war immer so ein hin und her. Ich sagte mir, dass ich das jetzt mache und dann traute ich mich nicht. Ich zweifelte, ob ich das kann und schrieb wieder Bewerbungen. Irgendwann hatte ich dann das Glück und bekam die Gelegenheit mich auszuprobieren. In meinem Bekanntenkreis hatte ich eine Personalleiterin, die mich fragte, ob ich einen Workshop moderieren würde. Gesagt getan. Das Gefühl nach dem Workshop war einfach klasse.

Wie sieht deine neue berufliche Aufgabe konkret aus?

Ich beginne jetzt eine eigene Unternehmensberatung aufzubauen. Führungsthemen liegen mir am Herzen. Ich möchte junge und unerfahrene Führungskräfte entwickeln und begleiten. Diese werden in Maßnahmen geschickt, kommen dann ins Unternehmen zurück und wenden nichts an. Entweder trauen sie sich nicht, haben keine Zeit oder keinen, der sie begleitet. Ich möchte diese Führungskräfte an die Hand nehmen und sie dürfen sich ausprobieren. Ich sichere es ab, damit das Investment, welches die Firma in die Ausbildung tätigt, auch irgendwann Früchte trägt. Grundsätzlich geht es um Unternehmenskultur, Werte, einen respektvollen Umgang miteinander. Es gibt z.B. Firmen, die haben ein neues Leitbild in der Vorstandschaft entwickelt. Die Führung schafft es aber nicht, die Thematik nach unten zu bringen. Ich sehe mich da als Übersetzer und Dolmetscher, begleite Abteilungen und Bereiche dabei, neu entwickelte Werte in die Wirkung zu bringen.

Wie siehst du die Entwicklung in der Autoindustrie und den Zulieferern in den kommenden Jahren?

Grundsätzlich sehe ich sie kritisch. Ich glaube, dass die Automobilhersteller durch Schlafwagen-Politik in Richtung E-Mobilität getrieben wurden, was meiner Meinung nach noch nicht die final beste Technologie ist, da gibt es noch viel zu tun. Jetzt hat aber keiner mehr das Geld, seien sie noch so groß die Firmen, an einer zweiten Technologie zu forschen. Natürlich kann man Teile von der E-Mobilität für anderes nutzen, weil es ähnlich ist. Aber komplett zweigleisig, das kann sich denke ich keiner leisten. Jetzt muss die Autoindustrie schnell komplett in die E-Mobilität starten. Das wird jetzt so die nächsten 10-15 Jahre gehen, und dann wird man schlauer sein. Ich glaube, dass die Brennstoffzelle und auch Hybride eine starke Rolle spielen werden. Es gibt jedoch nur wenige, die in dem Bereich der Brennstoffzelle wirklich geforscht haben.

Werden durch E-Mobilität weniger Mitarbeiter gebraucht?

Ja, das ist grundsätzlich ein Thema, schon allein wegen Industrie 4.0 oder der Digitalisierung. Die handwerklichen Themen werden weniger, Berufsfelder werden sich verändern. Der Mensch bleibt dennoch entscheidend. Auch ein Roboter wird nicht alles ableisten können. Andere Herausforderungen entstehen. Und die Mitarbeiter müssen sich weiterqualifizieren. Für Führungskräfte entsteht auch noch mal ein ganz anderes Thema. Leadership wird zukünftig noch mal ganz anders beansprucht und gefordert sein. Die jüngeren Generationen haben einen ganz anderen Anspruch an die Firmen. Sie wollen anders geführt werden und sich in der Firma wohlfühlen. Es muss werteorientierter werden. Generation Y will gar nicht mehr so arbeiten wie wir es noch gewohnt waren. Die würden sich das gar nicht gefallen lassen. Die haben einen ganz anderen Anspruch an Work-Life-Balance. Die wollen richtig gut leben, gewisse Freiräume haben.

Werden Führungskräfte dann ausgetauscht, weil sie ein anderes Werteverständnis haben?

Es wird welche geben, die sich weiterentwickeln können. Ich glaube, dass der Großteil da aber nicht mehr rauskommt, weil sie das ewig so gemacht haben. Wichtig wird, dass die Firmen den Mut haben, wirklich etwas zu verändern, weil das viel mit der Leistungsbereitschaft der Mitarbeiter zu tun haben wird. Das kostet nämlich richtig viel Geld, wenn die nicht da ist. 

Wo stehst du jetzt, 9 Monate später, im Ablösungsprozess von der alten Firma?

Ich dachte ich wäre schon weiter, aber ich bin emotional schon noch sehr verbunden mit der Firma. Woran ich das festmache? Weil es mir nicht egal ist, was mit der Firma abgeht. Ich versuche möglichst wenig mitzubekommen, was nicht immer zu verhindern ist, da ich noch Freunde und Bekannte in der Firma habe. Wenn die mir über die Geschehnisse dort erzählen, merke ich wie es mir schon noch nahe geht. Die Verbindung ist eben noch da.


Was hast du mitgenommen aus dieser Zeit?

Verdammt viel. Und das ist, was mich freut. Ich habe da ein positives Gefühl in mir, weil ich dem Unternehmen gegenüber eine große Dankbarkeit verspüre für das, was ich lernen und wie ich mich entwickeln durfte. Organisations- und Personalentwicklung ist mir wichtig. Der Mensch steht im Mittelpunkt. Es kommt auf die Werte, die Identität und das Zusammenarbeiten an. Dazu gehört auch, wie wir uns begegnen. Das ist, was ich gelernt habe, was ich mir auch behalten und weitergeben möchte.
Nicht jeder hat den Mut, die Reißleine zu ziehen und sich aus einem vergifteten Arbeitsumfeld zu befreien. Hast du das auch schon erlebt? Wie hast du in der Situation reagiert?


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