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Kaspertheater statt Jobmesse
Corona-Krise zwingt Unternehmerin zum Umdenken
Sabine Hildebrandt-Woeckel, Inhaberin vonjob40plus*, ist zurzeit massiv von der Krise betroffen.
Das löst Ängste aus – befreit aber auch aus alten Denkstrukturen.
Normalerweise kommen Menschen auf eure Veranstaltungen, um sich beruflich weiterzuentwickeln oder ganz neu durchzustarten. Jetzt ist dein Business selbst in Gefahr. Warum?
Du sagst es schon, wir veranstalten Jobmessen. Das heißt, wir kombinieren Jobsuche und Messegeschehen. Somit haben wir im Moment gleich mit zwei Problemen zu kämpfen. Erstens waren wir als Veranstalter sehr früh betroffen. Der erste Event 2020 fand Ende Februar fand zwar noch statt, wir hatten aber schon zahlreiche Absagen von Kandidaten, denen ein Messebesuch zu riskant erschien. Alle weiteren Frühling- und Sommerevents müssen nun ausfallen.
Und da niemand so genau weiß, wie lange keine Messen stattfinden können, gibt es natürlich auch kaum Anfragen für die Herbstveranstaltungen. Andererseits sind wir natürlich an den Arbeitsmarkt gekoppelt. Und aktuell geht es wohl in den meisten Unternehmen nicht ums Einstellen, sondern um Stellenabbau.
Wie wirkt die Pandemie sich auf dein berufliches und privates Umfeld aus?
Das Virus hat alles in Frage gestellt. Von meiner festen Mitarbeiterin musste ich mich trennen, auch weil Kurzarbeit für sie persönlich nicht in Frage kam. Trotzdem wird der Lohn natürlich noch zwei Monate fällig. Die Kosten laufen weiter. Gleichzeitig ist aber unser Familieneinkommen von einen Tag auf den anderen praktisch gleich null. Auch mein Mann arbeitet im Geschäft mit und hat zudem als Journalist derzeit kein Einkommen.
Die Redaktionen fahren ebenfalls zurück. Ich habe versucht einen KfW-Kredit zu bekommen, aber das funktioniert nicht so reibungslos wie es sollte. Gleichzeitig machen wir uns Sorgen um die Mutter meines Mannes, die alleine auf dem Land lebt. Je länger die extreme Situation anhält, umso mehr leidet sie. Und last but not least, will unser Jüngster heuer Abitur machen. Unser anderer Sohn hat die Uni gewechselt. Auch sie kämpfen mit der Ungewissheit. Insgesamt zerrt das sehr an den Nerven und macht uns Angst.
Wie geht es nun weiter?
Die Folgen kann ich heute noch nicht absehen. Es gibt viele Gedankenspiele. Folgt auf den Shutdown eine langanhaltende Rezession, wird unsere Dienstleistung sehr lange nicht mehr gebraucht. Schlimmstenfalls kann es das Aus für das Unternehmen bedeuten. Die staatliche Soforthilfe für das Unternehmen deckt drei Monate ab. Unseren Lebensunterhalt, die private Miete und weitere Ausgaben müssen wir aus Rücklagen finanzieren, die eigentlich für die „Rente“ gedacht waren. Die Reserven halten nicht ewig. Andererseits gehe ich davon aus, dass Fachkräfte auch weiterhin gesucht werden.
Halten sich die Folgen für den uns betreffenden Arbeitsmarkt (IT, Engineering, Finance, Pharma und Gesundheit) in Grenzen, sind wir sicher ganz gut aufgestellt. Unser Konzept ist von Haus aus klein und exklusiv angelegt. Die Besucher registrieren sich, wodurch alle Kontakte nachvollziehbar sind. Wird weiterhin oder wieder eingestellt, könnten wir sicher früher neu durchstarten als große Mitbewerber oder Messen überhaupt.
Wie ist deine emotionale Reaktion auf das aktuelle Geschehen?
Glücklicherweise bin ich grundsätzlich ein optimistischer Mensch. Es gab schon verschiedene Umbrüche in meinem Leben. Auch geschäftlich habe ich die Auswirkungen von Nine Eleven, die Finanzkrise und schließlich vor vier Jahren das plötzliche Ausscheiden und später den Tod meiner langjährigen Geschäftspartnerin überstanden. Aber ich weiß auch, dass Corona noch viel einschneidender ist als alles Vorherige. Zudem habe ich nicht mehr die gleiche Kraft wie vor 20 oder zehn Jahren. Trotzdem bin ich zuversichtlich, dass es irgendwie weitergehen wird.
Wie gehst du aktuell mit der Veränderung um? Was ist deine Strategie?
Im Moment nutze ich die Zeit für Aufräumarbeiten und versuche etwas runterzukommen, loszulassen. Aber ich kümmere mich auch darum, die geschäftliche Flamme am Köcheln zu halten, die Kunden zu informieren und das nächste Jahr zu planen. Und wir haben ja auch noch ein zweites Standbein: Coachings und Seminare rund um die Themen Jobverlust, -wechsel und Bewerbung. Hier wird der Bedarf in den kommenden Monaten sicher steigen.
Wird die Corona-Krise dein Geschäftsmodell verändern?
Grundsätzlich: eindeutig nein. Unser jetziges Messekonzept ist das Ergebnis jahrelanger Erfahrung – daran ändert auch Corona nichts. Ich bin auch weiterhin der Meinung, dass wir für Unternehmen sowie für erfahrene Kandidaten die besten Chancen bieten zueinander zu finden. Ich konzipiere und organisiere seit über 20 Jahren Jobmessen. Wir waren die ersten in Deutschland, die große Jobmessen für Arbeitnehmer durchgeführt haben. Um die Jahrtausendwende waren auf unseren Events teilweise knapp hundert Unternehmen und mehrere tausend Besucher. Unser größtes Learning dabei:
Die Größe der Messe bietet Unternehmen Vorteile, ihre Arbeitgebermarke bekannt zu machen und Besuchern, einen Überblick über den Arbeitsmarkt zu bekommen. Sie hilft aber weder dabei, den Rekrutierungsprozess zu verkürzen noch klassische Rekrutierungsfallen zu umgehen. Wir haben uns daher ganz bewusst für einen deutlich kleineren und gleichzeitig dreigeteilten Ansatz – Jobsuche/Rekrutierung, Beratung und interaktive Vorträge entschieden. Wir werden auch nicht auf online ausweichen – zumindest nicht mit dem Kerngeschäft. Bei Online-Messen fehlt genau das, was bei uns im Mittelpunkt steht: das persönliche Kennenlernen.
Kannst du das Geschäft denn wie gehabt weiterführen?
Natürlich nicht zu 100%. Wie bereits gesagt, ich gehe davon aus, dass sich der Fokus zumindest in den nächsten Monaten verlagern wird. Wir werden sowohl auf als auch zwischen den Events unser Beratungs- und Seminarangebot erweitern.
Kannst du dem, was da gerade passiert, schon etwas Positives abgewinnen?
Die Krise hat dazu geführt, einige unternehmerische Entscheidungen, die ich in den letzten Monaten getroffen habe, noch einmal zu hinterfragen – und teilweise auch zu korrigieren. Das betrifft Standortentscheidungen, Marketingaktionen, den Einsatz von Personal – und auch meinen persönlichen Einsatz von Zeit und Geld. Von beiden habe ich den letzten Monaten zu viel investiert. Hier war der Schock heilsam. Ich mache mir gerade auch intensiv Gedanken darüber, wie ich mich selbst mittelfristig mehr zurückziehen kann. Sie waren natürlich auch schon früher da, aber jetzt wird es konkreter. Ich halte ganz gezielt nach einem möglichen Partner/einer Partnerin Ausschau, der/die dann später mal übernehmen kann.
Du weißt ja, mein Slogan heißt „Ich wurde gefeuert – zum Glück!“ Was ist dein Glück?
Die Krise macht sehr deutlich, was wirklich wichtig ist im Leben: die Familie, Freude. In den ersten Tagen fand ich es schlimm, dass das Telefon im Büro plötzlich nicht mehr so oft geklingelt hat. Jetzt vermisse ich vor allem den Kontakt zu meinen Kindern und Enkelkindern, genieße es aber auch, mal Zeit für mich und für andere Dinge als die Arbeit zu haben. Gott sei Dank haben wir zwei große Balkone. Ich pflanze und säe. Dabei kann ich mich wunderbar entspannen. Mein Mann und ich nehmen seit ein paar Wochen jeden Abend ein kleines Theaterstück mit alten Kasperpuppen unserer Kinder als Video auf und verschicken es dann per WhatsApp an die Enkel.
Wir haben die Puppen beim Ausmisten im Keller gefunden. Zuerst war das rein zur Beschäftigung der Kids gedacht. Jetzt erwische ich mich dabei, mir morgens die nächsten Folgen zu überlegen. Das macht richtig Spaß. Teile des Jobs konnte ich bereits losgelassen, zumindest vorrübergehend. Das macht die Gedanken freier – und das hilft sicher auch dem Geschäft.
*job40plus, gegründet 2010, ist Spezialist für erfahrene Fach- und Führungskräfte. Kerngeschäft ist die Durchführung von exklusiven Jobmessen in verschiedenen deutschen Städten. Außerdem berät das Unternehmen mithilfe eines Expertennetzwerkes bei Um- und Neuorientierung, organisiert Seminare und Workshops und gibt einen Ratgeber für erfahrene Arbeitnehmer mit Wechselwillen heraus. Ausführliche Infos zu allen Angeboten gibt es unter www.job40plus.de.
VIELEN DANK!