Konzern in der IT-Branche startet drastische Umstrukturierung
Scheiden tut weh - auch wenn man sich selbst dafür entscheidet. Eine Mitarbeiterin erzählt.
Interview mit Michaela S., Mitte 40, gehobenes Management
Wo stehst du beruflich gerade?
„Mittendrin“ und gleichzeitig grade an einer Weggabelung. Ich habe 15 Jahre in einem großen Konzern gearbeitet, in verschiedenen Einheiten und Funktionen und dabei vielfältige Erfahrungen gesammelt. Jetzt ist für mich der Zeitpunkt gekommen, den Sprung „nach draußen“ zu wagen.
Der Konzern hat vor einigen Wochen ein umfangreiches Abfindungsprogramm angekündigt. Wie hast du darauf reagiert, als du davon erfahren hast?
Überrascht war ich nicht - denn es hat sich schon lange abgezeichnet, dass die nächste große Transformation ansteht. Es wurde über Monate hinweg bereits viel intern kommuniziert an alle Mitarbeiter, warum dieser große strategische Wandel und damit einhergehende Personalumbau notwendig ist. Für mich ist das „Warum?“ auch absolut nachvollziehbar. Aufgrund der fortschreitenden Digitalisierung verändert sich der Markt, und wir haben im Vergleich zum Umsatz überproportional hohe Gemeinkosten.
Was dieses Mal ungewöhnlich lange Zeit aber noch recht nebulös war, war das „Wie? Wieviele? Wer? Wann?“ Würde es wohl die in der Vergangenheit immer wieder eingesetzten „bewährten“ Instrumente geben (Abfindungen, Umqualifizierung, interne Vermittlung in andere Konzerneinheiten, Outplacement, Auffanggesellschaft etc.)? Oder diesmal doch auf betriebsbedingte Kündigungen hinauslaufen? Denn die Lage ist ernst, das ist hier jedem klar. Und es wurden viele Gerüchte geschürt, viele halboffizielle Vermutungen geäußert und wieder zurückgenommen. Diese Phase der Unsicherheit war sehr zermürbend - ähnlich wie bei einer Erkrankung die Zeit bis zur Diagnose. Man macht sich tausend Gedanken, stellt sich alles Mögliche und Unmögliche vor und kann doch keine Klarheit erlangen. Und Angst ist dabei natürlich auch mit im Spiel.
Vor ein paar Wochen kamen dann endlich die offiziellen Zahlen und Zielstrukturen heraus. Kurz danach folgten die ersten greifbaren Details, unter anderem zum Abfindungsprogramm. Da ich mich vorher schon intensiv mit den verschiedenen Möglichkeiten, wie es weitergehen könnte, auseinander gesetzt und die Segel in Richtung „Ausstieg - am besten mit Abfindung“ gesetzt hatte, habe ich mich fast „erleichtert“ gefühlt, als der offizielle Startschuss fiel. Denn es ist ein gutes Gefühl, ins Tun zu kommen.
In wie weit bist du davon betroffen? Wie geht es dir damit?
Rein formal bin ich ganz offiziell „betroffen“, weil mein kompletter Bereich durch ein sogenanntes Anbietungsverfahren geht, d.h. alle Mitarbeiter müssen sich neu bewerben, auf eine Stelle in einem insgesamt stark verkleinerten Pool in der Zielorganisation. Darunter kann man sich eine „Reise nach Jerusalem“ vorstellen, bei der jeder dritte Stuhl weggestellt wird, bis die Musik stoppt. Insgesamt müssen tausende Mitarbeiter gehen.
Unabhängig davon, ob das eigene Team formal betroffen ist oder nicht, sind meiner Meinung nach bei einem derart drastischen Personalumbau grundsätzlich alle im Unternehmen betroffen - ob man geht oder bleibt, über alle Ebenen hinweg. Für alle ändern sich die strukturellen Rahmenbedingungen - gewohnte Prozesse zerbrechen, Ansprechpartner verschwinden ganz oder haben neue Aufgaben. Chaos und Lähmung machen sich breit. Hinzu kommen auf emotionaler Ebene Unsicherheit, Angst, schwere Entscheidungen für Mitarbeiter und Führungskräfte - es ist eine harte Zeit für alle.
Und auch im privaten Bereich sind alle mitbetroffen - es hat Auswirkungen auf das gesamte System: Partner, Familie, Freunde und alle Lebensbereiche bis hin zur Gesundheit.
Wie es mir damit geht? Uff, es war ein monatelanger innerer Kampf mit ständigem Auf und Ab der Gefühle und mit vielen Zweifeln. Die Entscheidung ist mir nicht leicht gefallen. Aber seit ich mich entschieden habe, geht es mir besser. In gewisser Weise war es ja sogar ein „Luxusproblem“, da ich mich selbst entscheiden konnte und man mich nicht „loswerden“ wollte.
Wann hast du beschlossen, das Unternehmen zu verlassen? Wie kam es dazu?
Das war ein längerer Prozess. Ich hatte tatsächlich auch bei der letzten Transformationswelle vor ein paar Jahren bereits kurz mit dem Gedanken gespielt, aber da war ich noch nicht so weit.
Ich habe fast mein gesamtes Arbeitsleben bisher in dieser Firma verbracht, es war ein abwechslungsreicher Weg innerhalb des Konzerns, auf dem ich viel gelernt habe. Das war zunächst faszinierend, herausfordernd, inspirierend.
Irgendwann fing ich dann vermehrt an, mir die Sinnfrage zu stellen, denn vieles ist nicht mehr so, wie ich gern arbeiten möchte. Zähe Prozesse und Entscheidungsstrukturen, immer weiter ausufernder Reporting-Wahnsinn, immer mehr Druck und Hektik bei gleichzeitig permanent schrumpfenden Budgets und mit immer weniger Leuten.
Warum willst du das Unternehmen verlassen?
Seit Jahren steckt das Unternehmen in Schwierigkeiten, eine Umstrukturierung überholt die nächste, so dass keine jemals nachhaltig umgesetzt wird. Das mag auch der unglaublichen Dynamik des Marktes aufgrund der rasenden technologischen Entwicklung geschuldet sein, hat aber viele lähmende und zermürbende Nebeneffekte wie fehlende Klarheit, sich permanent verändernde Zielstellungen, unklare Schnittstellen und vieles mehr.
Was mir zuletzt am meisten gefehlt hat, ist „Wahrhaftigkeit“, echt und authentisch sein zu können - politische Spielchen, Silo-Bildung und Machtkämpfe, hinter denen das Interesse an der Sache und der Wille, gemeinsam erfolgreich zu sein, oft für meinen Geschmack zu stark in den Hintergrund trat. Vielleicht wird man mit fortschreitendem Alter in dieser Hinsicht auch einfach anspruchsvoller und kritischer.
Inzwischen ist für mich aber die positive Seite der Medaille entscheidender: ich habe jetzt die Chance, einen neuen Weg zu gehen, der aktuell besser zu mir passt. Darauf freue ich mich. Denn grundsätzlich denke ich, dass Veränderung wichtig ist für die eigene Weiterentwicklung..
Was hat dich bislang davon abgehalten zu gehen?
Ein wichtiger Punkt war bisher immer die vermeintliche Sicherheit, die ein großer Konzern bietet, und die entsprechenden Sozialleistungen. Nicht zuletzt auch der überdurchschnittliche Verdienst. Das setzt man nicht so einfach aufs Spiel, vor allem, wenn man auch familiäre Verpflichtungen hat.
Auch fühlte ich mich dem Konzern emotional sehr verbunden. Es war mein erster Arbeitgeber nach dem Studium, der mir viel ermöglicht hat, wofür ich dankbar bin.
Letztendlich muss aber so eine Entscheidung auch in die gesamte Lebenssituation passen. Denn sie hat wie gesagt Auswirkungen auf das gesamte System.
Wo stehst du aktuell im Trennungsprozess?
Emotional habe ich grade den Hebel im Kopf umgelegt - nach einem langen Wechselbad der Gefühle zwischen Trauer über den Abschied, Wut, Ärger, Enttäuschung, aber auch immer wieder Hoffnung, Aufbruchsstimmung und Neugier auf das, was kommt. Seit die Entscheidung getroffen und durch den entsprechenden Aufhebungsvertrag besiegelt ist, bin ich wieder gelassener.
Wer oder was unterstützt dich in der jetzigen Zeit?
Sehr unterstützt hat mich ein Kollege aus meinem Team, der den gleichen Weg eingeschlagen hat. Der Austausch mit ihm hat mir unheimlich geholfen - einerseits, weil er mich sehr gut verstehen konnte, andererseits weil wir wie sonst bei anderen Projekten auch gemeinsam im Team am „Projekt Ausstieg und Umorientierung“ arbeiten und uns gegenseitig stärken konnten.
Auch mein Netzwerk aus Freunden und Bekannten, die bereits einen ähnlichen Schritt gegangen sind, hat mich sehr ermutigt. Besonderes Glück für mich ist, dass sich darunter ein professioneller Coach befindet. Er hat sich viel Zeit für mich genommen und mich unterstützt - mit hilfreichen Tools und praktischen Tipps, auf was alles zu achten ist. Auch emotional tat das gut - zu wissen, dass all die Zweifel und das Auf und Ab der Gefühle in dieser Situation dazu gehören und „normal“ sind, war sehr beruhigend.
Meine Familie hat mir ebenfalls viel Halt gegeben und steht nun voll hinter mir. Ganz spannend zu beobachten war dabei die Entwicklung - anfangs ist jeder etwas „geschockt“, wenn man mit dem Plan, den sicheren Arbeitsplatz aufzugeben, herausrückt. Alle müssen sich erst daran gewöhnen. Anfangs sprachen sie genau die Zweifel aus, die ich selbst hatte - „Wovon willst Du denn dann leben?“ „ Dann müssen wir jetzt wohl kleinere Brötchen backen - große Urlaube sind dann nicht mehr drin.“ oder „Wenn Du keinen ganz konkreten Plan B inklusive Business Plan hast, ist das aber sehr gewagt.“ Ich habe dabei festgestellt: diese vermeintlichen Kritiker unterstützen einen (obwohl sich das erst mal nicht so anfühlt): man ist gezwungen, all diese Argumente für sich zu reflektieren und beantworten und das auch laut auszusprechen. Mir persönlich hat das geholfen, meine inneren Zweifel über die Zeit zu besiegen. Und als ich für mich selbst klar war, wurde es auch für mein Umfeld klar. „Das einzige, was Du später wirklich bereuen würdest, wäre nicht, dass Du diesen vermeintlich sicheren Job aufgegeben hast, sondern dass Du es nicht versucht hast, Deinem Leben eine andere Richtung zu geben. Du darfst das, ich würde fast sagen Du musst das jetzt für Dich tun … und Du kannst das. Wir stehen hinter Dir.“
Wann ist dein letzter Arbeitstag? Wie geht es dann weiter?
Bis zu meinem letzten Arbeitstag sind es noch circa. 3 Monate. Die werde ich auch noch brauchen, um meine aktuellen Projekte sauber zu beenden bzw. zu übergeben sowie parallel alles administrativ für den Ausstieg anzustoßen, inklusive aller Prozesse mit Arbeitsamt, Krankenversicherung, Rentenversicherung usw. Außerdem möchte ich auch Abschied nehmen von den Kollegen, mit denen ich einen langen gemeinsamen Weg gegangen bin.
Nach meinem letzten Arbeitstag werde ich dann erst mal ein paar Wochen eine Pause einlegen, um den Kopf frei zu bekommen und viel Energie zu tanken.
Dann werde ich mich strukturiert daran machen, Plan B zu entwickeln. Ich bin sehr dankbar dafür, dass ich dabei auf eine professionelle Begleitung bauen darf - in Kombination mit dem Abfindungsprogramm bietet mein Arbeitgeber Unterstützung bei der beruflichen Umorientierung durch erfahrene Outplacement Berater. Mein erstes Orientierungsgespräch hat mich sehr hoffnungsvoll gestimmt - der Arbeitsmarkt ist aktuell gut, wenn man entsprechend qualifiziert ist.
Wichtig für mich wird dabei auch weiterhin mein persönliches Netzwerk sein - als Inspiration, zum Gedankenaustausch und auch in Form von praktischer gegenseitiger Unterstützung.
Meine Gefühlswelt, wenn ich an „danach“ denke: Neugier, Abenteuerlust und Freude daran, mich auf den Weg zu machen - irgendwie so eine Aufbruchsstimmung wie vor einer großen Reise in ein mir noch unbekanntes, faszinierendes Land, wo ich seit langem schon mal hin wollte.
DANKE.
Wie hat dir der Artikel gefallen? Welche Fragen sind aufgekommen?
Gerne bin ich auch persönlich für dich da unter kontakt@everharduphoff.com
Everhard Uphoff
Umstrukturierung, IT-Branche, Neuorientierung, Kündigung, Aufhebungsvertrag, Entlassung, gefeuert, Jobverlust, Sport, Management, Führungskräfte