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Jobverlust

Keine Chance bei Klüngelwirtschaft – Schleichender Jobklau mit fatalen Folgen

 

Interview mit Erika W., 45, Personalleiterin

 

Was ist passiert?

Im Alter von 16 Jahren begann ich als Auszubildende für das betreffende Unternehmen zu arbeiten. Zu dem Zeitpunkt verfügte die Firma allein in Deutschland über 600 Mitarbeiter. Nach der Ausbildung wechselte ich in die Personalabteilung. Mit 29 Jahren übernahm ich die Leitung in dieser Abteilung. Diese Aufgabe, das Unternehmen und seine Mitarbeiter waren ein sehr wichtiger Teil meines Lebens. Ich war voll mit dieser Rolle identifiziert und im höchsten Maße loyal. In den ersten 9 Jahren als Personalleiterin hatte ich sechs verschiedene Vorgesetzte. Dann gab es wieder einmal einen Geschäftsführerwechsel. Meine Mutterschutzfrist war gerade zu Ende gegangen und ich arrangierte mich mit der großen Herausforderung, meinen Alltag mit meinem Mann und den zwei kleinen Kindern sowie meiner anspruchsvollen beruflichen Aufgabe zu meistern. Meine Arbeitstage endeten nicht selten um 20.00 Uhr bis 21.00 Uhr – ich begann morgens um 7.00 Uhr. An manchen Tagen schliefen meine Kinder am Morgen noch und sie schliefen bereits als ich wieder nach Hause kam. Eine 60-Stunden-Woche war keine Seltenheit. 

 

Der neue Geschäftsführer konfrontierte mich kurz vor Weihnachten damit, dass er vieles verändern will und diese zusätzliche Arbeitslast von mir nicht abverlangen könnte. Aber er weiß da Jemanden, der sich zufällig aufgrund einer neuen Liebe sowieso in die Gegend verändern möchte. Meine Recherchearbeit im Internet hatte ergeben, dass es sich dabei um seinen ehemaligen Personalleiter handelt. Es stellte sich später auch heraus, dass die genau gleiche Methode von den beiden Herren bereits in zwei Unternehmen genauso durchgeführt wurde. Ich habe ihn damit konfrontiert und ihm auch gesagt, dass wir die Angelegenheit ohne Gesichtsverlust für mich regeln könnten. Der Neue wird Personalleiter und wir sagen, dass ich mich aufgrund meines zweiten Kindes lieber mehr auf die Familie konzentrieren will. Dies lehnte der Geschäftsführer ab und sagte, dass ich so einen guten Job mache und er ihm nur eine Stellvertreterposition anbieten will. Ich lernte den Herrn dann kennen und er begann kurze Zeit später für das Unternehmen als mein Stellvertreter zu arbeiten.

 

Auf meine Initiative hin einigten wir uns auf klar abgesteckte Aufgabengebiete, so dass er auch Arbeitsgebiete hatte, in denen er frei entscheiden konnte. Es begann ein schleichender und sehr schmerzhafter Prozess, in dem mir in fünf darauffolgenden Jahren immer mehr Arbeit genommen wurde. Ich stand nicht mehr auf Verteilern und Termine fanden ohne mich statt. Ich kann mich nicht erinnern, wann genau es begonnen hat. Es endete jedenfalls damit, dass ich Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ablegte. Das Unternehmen war in einer schweren wirtschaftlichen Krise und man teilte mir mit, dass man zukünftig mit meinem Kollegen als Personalleiter arbeiten wollte. Ich hatte diese Funktion ohnehin nur noch auf dem Papier. Alle konnten es miterleben. Man wollte, dass ich zukünftig als Referent tätig bin und gab mir eine Stellenbeschreibung mit Inhalten eines Auszubildenden. Mein Entgelt sollte ich behalten. Es war klar, dass das Unternehmen rechtlich keine Chance hatte, aber ich hatte einfach keine Kraft mehr zu kämpfen.

 

Meine Bewerbung bei meinem jetzigen Arbeitgeber lief bereits, aber von dort kam noch keine Entscheidung. Schließlich unterschrieb ich einen Änderungsvertrag zum Personalreferent. Mein neuer Arbeitgeber sagte mir dann, dass er mich nur nimmt, wenn ich sofort einsteigen kann. Somit wurde ich wieder zum Bittsteller, da ich die Kündigungsfrist nicht einhalten konnte. Ich bin also vorzeitig ausgeschieden, ohne Freistellung und ohne einen Euro Abfindung. Im Nachhinein betrachtet würde ich natürlich Einiges anders machen. Das Schlimmste war, dass ich in Teilen die Achtung vor mir selbst verloren habe.

 
 
Wie war der Ablauf der Kündigung? Wie verlief das Trennungsgespräch?

Auf das Gespräch mit dem Thema, dass man mich nur als Referent haben will, war ich bereits durch meinen damaligen Vorgesetzten vorbereitet. Er hatte es angekündigt, mich aber insgesamt bei den Vorkommnissen vorher in keiner Weise unterstützt. Im Gespräch mit dem Geschäftsführer blieb ich sehr ruhig und selbstbewusst. Ich habe lediglich angemerkt, dass ich schriftliche Unterlagen will und mir diese ansehen werde.

 
 
Wie hast du dich damals gefühlt, als das passiert ist?

Während des kompletten Verlaufs fühlte ich mich ohnmächtig und ich fühlte große Trauer. Tatsächlich ist irgendetwas in mir gestorben. Ich weinte fast jedes Wochenende. Ich dachte, dass ich das aushalten muss. Inzwischen war ich Alleinverdiener und mein Mann kümmerte sich um die Kinder. Unser Haus war noch nicht abbezahlt. Irgendwoher musste das Geld ja kommen.

 
 
Was war die stärkste Emotion? Was war das schlimmste daran?

Ich hatte das Gefühl gescheitert zu sein und eine schmerzhafte Niederlage erlitten zu haben. Ich schämte mich vor meinen langjährigen Kollegen und vertrauten Mitarbeitern, spürte ihr Mitleid. Es war unerträglich. Ich habe meine Würde verloren, nicht mehr an mich und meine Fähigkeiten geglaubt (…und ich bin wirklich gut…). In dieser Zeit fühlte ich Ohnmacht, Wut, Trauer und Hass.

 
 
Wie gingst du mit der Situation um?

Irgendwann fing ich an, mich auf den Weg zu machen. Wer bin ich? Warum begebe ich mich in diese Opferrolle? Warum wehre ich mich nicht? Ich begann mich mit mir selbst auseinanderzusetzen, las viel und belegte Seminare.

 
 
Wie hat dein Umfeld reagiert?

Von den vielen Kollegen in der Firma konnte ich mich nicht verabschieden. Meine engen Mitarbeiter und das gesamte Betriebsratsgremium haben mir einen tollen Abschied bereitet. Mein restliches Umfeld hat mich beglückwünscht. Man sah mir an, wie belastend das Ganze für mich war. Inzwischen wog ich noch 63 kg (ich bin 1,71 m), hatte über 10 kg abgenommen.

 
 
Wie ging es nach dem letzten Arbeitstag weiter?

Ich hatte genau 5 Kalendertage Zeit, um 27 Jahre zu verarbeiten. Das war viel zu kurz. Es war ein Kraftakt.

 
 
Was hat in der Situation geholfen?

Die Liebe und der Rückhalt meines Mannes hat mir sehr geholfen, obwohl er zur Lösung des Problems eigentlich nicht wirklich beigetragen hat. Ganz ehrlich. Ich glaube, dass sich niemand vorstellen kann, wie schlimm das war, der es nicht selbst erlebt hat.

 
 
Wie lange braucht es bis das Ganze verdaut ist?

Das hat sehr lange gedauert. Nach dem erfolgreichen Bestehen der sechsmonatigen Probezeit in der neuen Firma wurde ich erstmal krank. Da habe ich gemerkt, welchen Kraftakt ich von mir abverlangt habe. Aus dieser seelischen Situation heraus den Neuanfang zu wagen, ist nicht gerade ein Spaziergang. Es hat 18 Monate gedauert, um in der neuen Firma wirklich anzukommen. Es ist auch ein schwieriges Umfeld, aber ich spüre große Wertschätzung. Damit kann ich manchmal gar nicht mehr umgehen.

 
 
Wie erging es dir auf der Suche nach dem neuen Job?

Das war eigentlich sehr einfach. Ich habe nur eine Bewerbung geschrieben. Ich überzeugte in einem ersten Telefoninterview und habe die Stelle nach weiteren persönlichen Gesprächen auch bekommen.

Inzwischen bin ich für unseren kompletten Standort mit fast 400 MA verantwortlich und habe daran große Freude. Mein Arbeitgeber hat mir die Ausbildung zum Business Coach ermöglicht. Diese Arbeit mit Menschen erfüllt mich sehr.
 

Was würdest du heute anderen raten, die in eine solche Situation kommen?

Manchmal sind wir einfach zur falschen Zeit am falschen Ort. In diesen Momenten lohnt es sich einfach nicht zu kämpfen oder zu warten. Wer in eine derartige Situation kommt, der soll sich sofort eine neue Stelle suchen. Das hätte ich viel früher tun müssen, um persönlich keinen Schaden zu nehmen.

 
 
Wenn es etwas Positives an der Geschichte gibt, was ist es?

Diese Geschichte hat mich persönlich sehr stark reifen lassen. Sie gibt mir eine Tiefe und Kraft, die bei der Begleitung von Menschen in persönlichen Krisensituationen sehr hilfreich sein kann.

 
 
Welche Werte sind dir in der Berufswelt wirklich wichtig?

Respekt und Vertrauen. Jeder Mensch ist einzigartig und wichtig. Auch in der Businesswelt möchte ich mit Anderen so umgehen und wünsche mir, dass auch mit mir so umgegangen wird.
 

 
 
Kennst du auch die andere Seite? Hast du in deiner Funktion als Personalreferentin mit Outplacement zu tun gehabt?

Natürlich. Ich habe unzählige Male Mitarbeiter in Trennungssituationen begleitet oder begleiten lassen. Meiner Meinung nach ist das Optimum, wenn beim Ausstieg eine externe Begleitung ermöglicht wird. Schließlich kann der Mensch, der eine Kündigung ausspricht, nicht der „Seelentröster“ sein. Das schließt sich aus. Ich wünsche mir, dass Unternehmen noch viel mehr eine externe Trennungsbegleitung z.B. in Form von Coaching anbieten.

 

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Autor:

Everhard Uphoff

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