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Kündigung: Berufsalltag eines Personalleiters


Langjähriger Experte gewährt Einblick hinter die Kulissen 


Interview mit Knud D., 47, Personalleiter im Konzern.


Mehr als zwanzig Jahre seiner beruflichen Karriere hat Knud D. bislang als Personalleiter in leitenden Positionen auf Konzernebene verbracht.

Dabei hatte er auch immer wieder mit Stellenabbau zu tun.


Welche Erfahrungen hast du in den ganzen Jahren gemacht? Wie trennen sich Arbeitgeber von ihren Mitarbeitern?

Zunächst war ich acht Jahre lang bei einem US-amerikanischen IT- und Beratungsunternehmen tätig. Nach mehreren wirtschaftlich erfolgreichen Jahren ging es dort ab 2001 zahlenmäßig steil bergab. Die Amerikaner sind sehr prozessorientiert und drücken sofort auf die Kostenbremse. Über einen Zeitraum von 5 Jahren wurde Personal abgebaut und am Schluss auch Standorte mit mehreren hundert Mitarbeitern geschlossen.

Damals, als ich in jungen Jahren Personalleiter wurde und die ersten Aufhebungsgespräche führte, wollte ich natürlich allen zeigen, dass ich ein “Tough Guy” bin. Die jungen Menschen schickt man in den Krieg, heißt es ja auch. Ich habe mich richtig in die Arbeit gestürzt. 70-Stunden-Wochen waren keine Seltenheit. Phasenweise habe ich auch die Wochenenden komplett durchgearbeitet. Im Gegensatz zu vielen anderen Firmen, wurden wir sehr gut darauf vorbereitet, Ausstellungsgespräche professionell durchzuführen.

Anhand von Rollenspielen wurden wir in die jeweilige Trennungssituation hineinversetzt. Obwohl wir wussten, dass es ein Spiel ist, waren diese so gut gestaltet, dass der Kündigende sowie der zu Kündigende feuchte Hände oder Herzrasen hatten. Auch die Kommunikation des Top-Managements an Führungskräfte und Mitarbeiter war klar und transparent. Alle wussten, dass es in Deutschland ein Kostenproblem gibt und die Personalkosten um einen bestimmten Prozentsatz gesenkt werden müssen.

Den Mitarbeitern wurde vorab immer bekannt gegeben, worum es im Gespräch gehen wird. Wenn einer zu einem Gespräch gekommen ist, war der somit nie überrascht. Eine große Anzahl an Menschen im Unternehmen musste gehen. Mir war klar, dass es alle bewegen würde. Folglich sollte es möglichst sozial und fair zugehen. Was wir vermeiden wollten war: „Pack deine Sachen und geh“. Bei dem Unternehmen habe ich unglaublich viel in Sachen Personalausstellung lernen dürfen.

Es gab auch heikle Ausgangssituationen wie Diebstahl oder sogar Totschlag. Da habe ich natürlich auch nicht lange überlegen müssen. Die betreffende Person wurde ins Büro gerufen. Der Sicherheitsdienst wurde bereits vorab informiert, stellte sich vor die Tür und wartete mit einem Karton in der Hand. Dem zu kündigenden Mitarbeiter habe ich dann kurz und schmerzlos gesagt, dass sich die Firma von ihm trennt.

Der Sicherheitsdienst begleitete den Mitarbeiter dann zum Arbeitsplatz, wartete bis die persönlichen Sachen gepackt waren und brachte den Überführten nach draußen. Das war es dann. Alles andere wurde schriftlich geregelt. Das war natürlich für die Betroffenen, die noch nicht mal ahnten, dass sie ertappt worden waren, sehr konfrontativ. 






Meine nächste berufliche Station führte mich in ein Unternehmen, bei dem jahrelang kein Perfomance Management gemacht worden ist. Als ich dort anfing, bekam ich erstmal die unangenehmen Aufgaben auf den Bürotisch, die keiner wirklich machen wollte. Dazu zählte auch die Durchführung von Beendigungsgesprächen. Darin kannte ich mich ja bestens aus. Ich war bereit diese Aufgabe zu übernehmen, allerdings unter einer Bedingung: Wenn ich als Personalleiter Trennungsgespräche führen sollte, dann wollte ich auch zuständig für alle anderen Gespräche wie Gehaltserhöhung, Beförderung usw. sein.

Das wollten meine Chefs nicht. Ich sagte, dass ich das eben auch nicht will, weil es dann einen “Bad Guy” und viele “Good Guys” gibt. Das Ende vom Lied: Auf einmal hatte jeder Angst mit mir zu sprechen, weil da ein Termin gleich als Beendigung verstanden wurde. Der Grund für mich, das Unternehmen wieder zu verlassen, war ein anderer. Wenn Führungskräfte auf Kosten der Mitarbeiter die Zahlen zugunsten ihres Bonus manipulieren, passt das nicht in meinen Wertekanon. Für mich kam das nicht in Frage. Ich hätte mir morgens nicht mehr in den Spiegel schauen können und habe deswegen selber gekündigt. 
In den letzten acht Jahren war ich dann bei der Holding eines weltweit agierenden Unternehmens angestellt. Dort habe ich den gesamten Personalbereich neu aufgebaut und an den Vorstandsvorsitzenden berichtet. In der Firma gab es so gut wie keine Trennungskultur. Es ist so viel Geld in die Hand genommen worden, dass diejenigen, die gehen sollten, auch keine Minute gewartet haben, sondern gleich einverstanden waren. Der typische Gesprächsverlauf bei einem Aufhebungsgespräch war in etwa so: „Herr Lüdenscheid, wir passen nicht mehr zusammen. Sie sind ab heute freigestellt. Alles andere klären wir dann.”

Das konnte den einen oder anderen auch komplett unvorbereitet treffen. Ab einer gewissen Ebene und ab einem gewissen Alter standen die Mitarbeiter dort tendenziell eh immer auf einer roten Liste.


Wie erging es dir in der Rolle des Kündigenden?


Am Anfang wollte ich es ja allen zeigen und einfach einen gut Job machen. Ich habe mich richtig in die Arbeit gestürzt. Irgendwann stellte ich fest, dass ich nicht mehr abschalten konnte. Ich nahm die Gedanken an die Arbeit mit ins Bett und als ich aufwachte, dachte ich als erstes wieder an meine Arbeit.


Was für Gedanken hattest du denn?

Wenn ich ein Beendigungsgespräch führte und der Gekündigte nicht total sauer war, bekam ich häufig die komplette Lebens- und Leidensgeschichte dieses Menschen serviert. Der Jobverlust war für manche ein Dolchstoß mit gravierenden Auswirkungen auf das Privatleben. Es waren auch Schicksale dabei, bei denen ich mich fragte, ob der Betreffende denn je wieder auf die Beine kommen würde. Das hat mich schon extrem beschäftigt. Im Grunde gab es für mich nur zwei Optionen.

Entweder schaffte ich es mir einen Teflonanzug anzuziehen, damit alles an mir abperlt oder ich lief Gefahr, daran zugrunde zu gehen. Als empathischer Vorgesetzter war es mir nicht egal, was mit den Mitarbeitern geschah. Ich fühlte mich für sie verantwortlich. Aus diesem Grund kann ich jetzt gut nachvollziehen, warum mein Arbeitgeber sich ab einem gewissen Alter von Mitarbeitern in Führungspositionen getrennt hat.

Als es mir plötzlich selber an den Kragen ging, war es ein totaler Schock für mich, traf mich völlig unvorbereitet. Ich hatte wohl wahrgenommen, dass gerade in der Firma eine schlechte Stimmung herrschte und teilte die Gedanken auch meiner Frau mit. Greifen konnte ich es aber nicht wirklich. Sie fragte mich, ob es mit mir zu tun hätte, was ich verneinte. Irgendwie war die Stimmung einfach schlecht. Drei Monate vor der Trennung hatte ich noch eine Gehaltserhöhung in Höhe von 12 Prozent wegen guter Leistungen bekommen.







Wie ist das Trennungsgespräch abgelaufen?

Es waren außer mir noch zwei Leute da. Der Personalvorstand und noch eine weitere Person. Wir setzten uns hin. Mein Chef kam direkt zur Sache: „Wir wollen nicht mehr, das passt nicht mehr“. Ich erwiderte, dass ich das gerade nicht verstehe. Habe ich irgendwas gemacht? Hat irgendeiner gesagt, ich bin ihn angegangen? Habe ich jemanden beleidigt, mich fehl verhalten, gestohlen oder was auch immer? Nein, nichts dergleichen. Ich bekam lediglich als Antwort, dass der Bereich, den ich aufgebaut hatte und für den ich verantwortlich war, neu aufgestellt werden sollte.

Meine Vorgesetzten glaubten nicht, dass ich dazu passe. Mir wurde ein Aufhebungsvertrag vorgelegt und ein Schreiben, in dem nur noch handschriftlich die Freistellungsdaten eingetragen worden sind. Also es kam mir vor wie so ein Abreißblock. Das ist das, was mich in der Situation am meisten erschüttert hat. Mein direkter Vorgesetzter war damals mit dabei. Dem war total unwohl, weil wir ein sehr gutes Verhältnis zueinander hatten. Er war nicht in der Lage auch nur ansatzweise irgendwas dazu beizutragen.

Zu ihm habe ich seitdem keinen Kontakt mehr. Der wohnt zwar auch in der gleichen Stadt, aber wir sind uns bisher noch nie über den Weg gelaufen. Außer einem freundlichen Tagesgruß würde ich auch nicht zwingend mit ihm sprechen wollen. Wenn er mich anspricht, würde ich sagen. „Ja alles gut, aber lass uns einfach weiter unsere Wege gehen“. Das mit dem Schock hat garantiert zwei bis drei Tage gedauert. Dann war ich einfach nur wütend.


Wie hast du den wahren Kündigungsgrund herausgefunden?

Der Vorstandsvorsitzende, der mich geholt hatte, der wurde einige Monate vorher schon nach Hause geschickt. Er wohnte in der gleichen Stadt. Zu ihm hatte ich immer noch einen guten Draht. Wir haben uns einige Male zusammengesetzt. Ich habe ihn gefragt, ob er mir das erklären kann? Ich verstehe nicht, was da passiert ist. Da hat er gesagt, ja kann ich.

Ich hatte den zentralen Personalbereich aufgebaut. Das war immer mal wieder ein Ziel, was aber nie verfolgt werden sollte von ganz oberster Seite. Nachdem wir hier nun ein stückweit zu erfolgreich geworden waren, musste seitens des Inhabers reagiert werden. Es wurde nicht gerne gesehen, dass ich den Bereich zentral führte und Regeln aufstellte. Andere störten sich daran. Das wollten die nicht. Im Nachhinein habe ich das verstanden, aber in der Situation ganz und gar nicht. In dem Moment dachte ich, dass ich vollkommen im falschen Film bin.


Was war das schlimmste an der ganzen Situation?

Für mich persönlich kam kurzzeitig eine Zukunftsangst auf. Die hat sich dann schnell gelegt, weil ich mit dem Abfindungspaket, was wir dann verhandelt hatten, dreieinhalb Jahre abgesichert gewesen wäre ohne einen Cent weniger zu haben. Am Anfang hat es meinem Selbstbewusstsein einen ziemlichen Knacks gegeben, weil es bei mir bis dahin immer nur bergauf ging. Gleichzeitig wusste ich, dass ich mit meinem Lebenslauf überhaupt keine Schwierigkeiten haben werde, wieder unterzukommen.

Meine Familie und ich waren auch räumlich flexibel. Dann habe ich erstmal ein Jahr voll bezahlte Elternzeit genommen. Meine Frau ist extrem gut mit meiner Situation umgegangen. Sie hat mich jederzeit unterstützt. Zusätzlich habe ich mir psychologische Hilfe geholt. In der Situation brauchte ich jemanden, der mich aufbaut und mein Selbstbewusstsein stärkt.


Wie hat dein Umfeld reagiert, als du plötzlich daheim warst?

Am Anfang haben wir das Ganze noch als Elternzeit verkauft. Nach einem halben Jahr habe ich dann angefangen, den Leuten die Wahrheit zu erzählen. Deren Reaktion erstaunte mich. Die waren gar nicht verwundert, sondern meinten, dass die Vorgehensweise typisch sei und die Führung in der Firma immer so agieren würde. Am Anfang befürchtete ich, dass keiner meine Version glaubte.

Ich hatte Angst vor der Behauptung: „Ja ja komm, du erzählst du hast nichts gemacht, aber du hast doch da irgendwie in die Kasse gegriffen oder was auch immer.“ Das war meine Angst dabei. Also das eigene Kopfkino war da sehr ausgeprägt. Die Reaktion war zum Glück aber eine komplett andere. „Das kennen wir. Wir wissen, wie der Laden funktioniert.“







Wie lange hast du gebraucht, das Ganze zu verdauen?

Ach, das ist schwer zu sagen. Ich würde sagen drei bis sechs Monate auf jeden Fall.

Wie lange war deine Auszeit dann insgesamt?

13 Monate.


Wie erging es dir auf der Suche nach einem neuen Job? Wie viele Bewerbungen? Quote? Headhunter?

Aufgrund meiner langjährigen Tätigkeit im Personalwesen kannte ich viele Headhunter. Den habe ich nach einem kurzen Telefonat meinen Lebenslauf zugesandt. Auch kamen viele Headhunter auf mich zu, als ich in den Netzwerken meinen beruflichen Status auf „Jobsuche“ geändert habe.


Wurdest du denn mal in Vorstellungsgesprächen danach gefragt, wie die vorherigen Jobs zu Ende gegangen sind?

Ja, aber das habe ich nicht erzählt. Ich sagte, dass ich mich persönlich verändern möchte, da ich in der alten Firma in meinem Alter nicht mehr gefragt war.


Was hat dich davon abgehalten die Wahrheit zu erzählen?

Das ist eine gute Frage. Irgendwie habe ich mich doch etwas geschämt.


Was hast du aus der Kündigung für dich gelernt?

Dass ich mich im Berufsleben auf keinen mehr verlassen kann.


Wie war das, als du dann einen neuen Job angefangen hast?

Mir ist von Anfang an klar, dass auf meiner beruflichen Ebene die Leistung schnell eine untergeordnete Rolle spielen kann. Und natürlich spielt dann auch Angst eine Rolle, weil ich kennen gelernt habe, wie schnell eine Trennung einen persönlich treffen kann.


Hat sich deine Arbeit als Personalleiter durch die persönliche Erfahrung verändert?

Nein, gar nicht. Also ich führe hier z.B. Rückkehrgespräche mit Angestellten, die unendlich viele Krankentage haben und ich kündige da auch. An der Stelle muss ich sagen, das hat sich nicht geändert, weil mein persönliches Wertesystem, was ich vorher besessen habe, gleich geblieben ist.


Wie geht es dir da jetzt, wo du bist?

Da geht es mir sehr gut. Ich fahre mit Spaß zur Arbeit.


Du weißt ja, meine Marke heißt: Ich wurde gefeuert, zum Glück. Was ist dein Glück?

Naja, ich glaube, dass es im ersten Moment selten ein Glück ist, gefeuert zu werden. Das muss man wirklich aufarbeiten. Mein Glück dabei war aber tatsächlich die starke Unterstützung meiner Frau zu spüren. Das weiß man erst dann, wenn das Ereignis wirklich eintritt.

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