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Erpressung in der Probezeit

Mitarbeiter wird vor die Wahl gestellt: Gehaltskürzung oder Kündigung.

Interview mit Mirko W. , 44, Key Account Manager

Was ist passiert?

Ich hole ein bisschen aus. Wir waren eine kleine Familie, unser zweiter Sohn war gerade auf die Welt gekommen. In einer Mietwohnung lebend, suchten wir schon länger ein Eigenheim im Rhein-Main-Gebiet. Dann hatten wir es endlich gefunden. Just in dem Moment des Hauskaufs erhielt ich die Möglichkeit, eine Verkaufsleiterstelle mit Leitungsfunktion, in Norddeutschland zu übernehmen. Darauf hatte ich lange Zeit hingearbeitet. Deshalb wollte ich mir diese Chance nicht entgehen lassen und sagte zu. Die neue Tätigkeit war mit einer großen Reisetätigkeit verbunden. In der Familie wurde die Entscheidung gefasst, den Rhein-Main-Standort nicht aufzugeben, um meine Frau mit den Kindern nicht aus dem sozialen Umfeld zu reißen.

Ich habe diesen Job dann zwei Jahre gemacht und schließlich bemerkt, dass das so auf die Dauer nicht funktioniert. Da es leider nicht möglich war, innerhalb der Firma zu wechseln, habe ich mich auf dem Markt umgeschaut. Durch Branchenkontakte bin ich dann auf ein Wettbewerbsunternehmen gestoßen und wurde fündig. Für die neue berufliche Herausforderung in der Papierbranche bin ich einen Schritt vom Verkaufsleiter zum Key-Account-Manager zurückgegangen. Bei Dienstantritt wurde mir kein Kundenbezirk übergeben, sondern ein Haufen von 350 Adressen, die es zu bearbeiten galt. Mit Key-Account-Manager hatte das im Grunde nicht viel zu tun. Ich nahm es hin, schließlich verdiente ich ein gutes Geld.

Nach drei Monaten hatte ich ein erstes Orientierungsgespräch, bekam positive Rückmeldungen. Nach fünf Monaten hatte ich schon die budgetierten Zahlen übertroffen. Bei meinem zweiten Orientierungsgespräch vereinbarte ich mit meinen Vorgesetzten, die Akquise in anderen Bereichen auszuweiten. Das war zwar vorher nicht so besprochen worden, da ich ja als Key Account Manager eingestellt wurde, aber ich akzeptierte die Änderung. Einige Wochen später, es war kurz vor Weihnachten, saß ich im Büro, als plötzlich mein Firmenhandy klingelte. Einer meiner Chefs war dran und bat mich, ins Besprechungszimmer zu kommen. Auf dem Weg dorthin kam mir der Gedanke, dass sie mir jetzt kündigen.

Bis zum Ende der 6-monatigen Probezeit waren es noch 2 Wochen. Tatsächlich war neben den beiden Vorgesetzen auch die Personalchefin anwesend. Sie teilten mir mit, dass sie mit meiner Arbeit überhaupt nicht zufrieden waren. Ich war überrascht und fragte nach, woran sie das festmachten. Letzten Endes sprachen ja die Zahlen auch eine andere Geschichte. Obwohl wir uns einige Wochen zuvor darauf verständigt hatten, dass ich neue Kunden in anderen Bereichen akquiriere, bekräftigte die Unternehmensleitung ihre Unzufriedenheit. Sie ging sogar noch einen Schritt weiter und meinte, dass ich nur weiter zu einem geringeren Gehalt beschäftigt werden könne.

Bis zum nächsten Tag sollte ich eine Präsentation mit der zukünftigen Marktbearbeitung vorbereiten. Zudem sollte ich mir einen neuen Gehaltsvorschlag überlegen. Ich willigte ein, die Präsentation zu erstellen, lehnte einen neuen Gehaltsvorschlag meinerseits ab. Die schlechten Nachrichten haben meine Frau sehr getroffen.

Wie ging es dir damit?

Am liebsten hätte ich denen gesagt, dass ich das nicht mache. Da ich jedoch finanzielle Verpflichtungen durch den Hauskauf und gegenüber meiner Familie hatte, fühlte ich mich gezwungen, der Forderung meines Chefs nachzukommen. Ich hatte das Gefühl, dass mein Arbeitgeber versuchte, meine Situation auszunutzen. Das gefiel mir ganz und gar nicht und nagte an mir. Zum Glück kannte ich einen Fachanwalt fürs Arbeitsrecht und kontaktierte ihn. Er riet mir, die Vertragsänderung zu unterzeichnen, da die Anderen auf der sicheren Seite waren. Ich schluckte es runter und unterschrieb, schließlich war ich ja noch in der Probezeit. Mein Gehalt wurde um 1000 Euro brutto pro Monat reduziert.

Wie gewünscht hielt ich meine Präsentation und zeigte auf, wie die Marktbearbeitung fortan aussehen sollte. Ich war enttäuscht. Der Stachel saß tief. Mein Vertrauen in die Firma war weg. Der Weihnachtsurlaub kam wie gerufen. So konnte ich Abstand gewinnen und mir überlegen, wie es danach weitergehen sollte. Je länger ich darüber nachdachte, was mir widerfahren war, desto mehr reifte in mir der Entschluss, nicht mehr an meinen Arbeitsplatz zurückzukehren. Die Vorfälle schlugen mir auf den Magen. Ich war deprimiert. An meinem ersten Arbeitstag nach dem Urlaub meldete ich mich schriftlich krank, musste dann auf Veranlassung der Firma zum medizinischen Dienst zu einer Untersuchung.

Diese ist zum Glück durchgekommen. Nach den Vorkommnissen in der Firma wollte ich mich nicht mehr mit meinem alten Arbeitgeber auseinandersetzen und meine Gesundheit schützen. Auf Anrufe habe ich nicht reagiert. Stattdessen kontaktierte ich meinen Anwalt und übergab ihm die Angelegenheit. Das unfaire Verhalten meines Chefs war für mich ein absoluter Vertrauensbruch. Rein rechtlich hatte sich der Arbeitgeber im grünen Bereich bewegt, aber ethisch gesehen war das nicht in Ordnung. Persönlich habe ich mich einfach erpresst gefühlt. Meine Motivation war weg. Wie sollte ich da als Vertriebler noch erfolgreich sein können?

Hattest du eine Rechtschutzversicherung?

Ja, hatte ich.


Hat sie gegriffen? Denn du warst ja noch nicht gekündigt.

In dem Moment erst einmal nicht. Wenn es nicht zur Kündigung gekommen wäre, hätte ich es selbst bezahlen müssen. Die Kündigung kam dann einige Tage später. Wir haben dann Kündigungsschutzklage auf Wiedereinstellung eingereicht. Ich wollte natürlich nicht wieder in den Betrieb zurückkehren, sondern beim Schlichtungstermin am Arbeitsgericht eine Einigung erzielen und eine Abfindung aushandeln. Mein Anwalt und ich rechneten hoch, welcher Betrag realistisch war. Ich wusste, dass es nochmal mindestens drei Monate bis zu einem Kammertermin dauern würde, wenn keine Einigung bei dem Schlichtungstermin erzielt wird. Das wären Mehrkosten für den Arbeitgeber gewesen.

Er hatte nichts gegen mich in der Hand. Ich hatte mich einwandfrei verhalten. Eine Abmahnung lag nicht vor. Wir entschieden uns, das Abschiedspaket höher anzusetzen, um notfalls in der Trennungsverhandlung noch etwas nachgeben zu können. Unsere Forderung lag bei zwei vollen Gehälter plus Prämie, die ich noch gekriegt hätte, plus Firmenwagen usw. Der Schlichtungstermin kam. Meine Personalchefin war mit ihrer Anwältin anwesend. Die Richterin setzte sich, schlug das Buch auf und schaute in Richtung Unternehmen. Sie wollte wissen, was vorgefallen war. Meine Personalchefin erklärte, dass es eine Vertragsänderung in der Probezeit gab, sich der Mitarbeiter nach dem Urlaub schriftlich krank gemeldet hat und der Arbeit ferngeblieben ist.

Für die Richterin war das kein Trennungsgrund. Sie erklärte die Kündigung für unrechtmäßig. Demnach sollte ich am folgenden Wochentag wieder in die Arbeit kommen. An dem Punkt intervenierte mein Anwalt und verwies auf das gestörte Vertrauensverhältnis. Unsere Rechnung ging auf. Der Arbeitgeber war bereit 3000 Euro Abfindung zu zahlen, wir forderten 15.000 Euro und einigten uns auf 10.000 Euro. Das war genau das, was der Anwalt und ich uns vorher überlegt hatten. Wäre meine Firma weniger bereit gewesen zu zahlen, hätte ich mich nicht darauf eingelassen und den Prozess weiter laufen lassen.

Für mich war der Ausgang eine echte Genugtuung. Dieses Mal war die Personalchefin in der Defensive. Sie konnte die Höhe des geforderten Betrages nicht alleine entscheiden, telefonierte mit der Unternehmensleitung und musste sich die Freigabe einholen. Ich war einfach froh, dass die Sache gut für mich ausging. Das lag unter anderem daran, dass ich in der Situation einen kühlen Kopf bewahrte, wusste, wie der Prozess am Arbeitsgericht ablief und meine finanzielle Situation im Blick hatte. Zum Glück wurde ich auch nicht vom Arbeitsamt gesperrt. Das einzige, was mich bis heute beschäftigt, ist der wahre Kündigungsgrund. Ich verstehe es bis heute nicht. Mein Arbeitgeber hätte mir doch einfach in der Probezeit kündigen können. Dann hätte er sich viel Geld gespart. Stattdessen habe ich sie mit Gerichtskosten, Gehälter usw. 40-50 Tausend Euro gekostet. Und wofür? Ich weiß nicht, was sie sich dabei gedacht haben.



Wie ging es dann nach dem Jobausstieg weiter?

Erst einmal habe ich es mir gut gehen lassen. Ich habe mir eine Auszeit gegönnt, mich um die Familie gekümmert und meinen Kindern was zurückgegeben. Insgesamt bin ich 9 Monate daheim geblieben. In dieser Zeit habe ich vereinzelt Bewerbungen geschrieben. Da gab es eine Firma, die mich haben wollte, da wollte ich aber nicht gern hin. Bei einer anderen Firma war es umgekehrt. Da wollte ich hin, aber die wollten mich in der letzten Konsequenz nicht. Anfangs war ich bestrebt, mir wieder einen neuen Job in der gleichen Branche zu suchen. Ich hatte allerdings das Gefühl, durch diese Geschichte vielleicht etwas verbrannt worden zu sein. Es ist eine sehr kleine Branche und vielleicht hatte sich der Fall herumgesprochen. Zudem nahm ich wahr, dass sich in der Branche durch die fortschreitende Digitalisierung ein Wandel vollzogen hatte. Ob es da noch Sinn machte, wieder in den gleichen Bereich zurückzukehren? In mir kam der Gedanke auf, etwas Neues zu machen.

Wie bist du dann zu deinem Job gekommen?

Durch einen glücklichen Zufall! Ich war damals mit meinen Jungs alleine auf dem Spielplatz und habe dort einen ehemaligen Freund getroffen. Die Kinder spielten, wir saßen auf der Bank in der Sonne. Er fragte mich, was ich denn gerade mache. Dann habe ich ihm meine Geschichte erzählt. Ich sagte ihm, dass ich mir gerade ganz in Ruhe Gedanken darüber mache, was ich weiter machen will. Wenn ich mich jetzt mit Mitte Vierzig nicht mehr verändere, dann wahrscheinlich gar nicht mehr. Ihm gehörte eine Hausverwaltung zusammen mit noch einem anderen Inhaber. Sie waren gerade dabei zusätzlich die Immobilienvermittlung zu erschließen und konnten einen Vertriebler gebrauchen. Dazu hatte ich große Lust, denn Vertrieb kann ich, das mache ich seit 20 Jahren. Zudem war das Rhein-Main-Gebiet ein ganz gutes Pflaster, um Immobilien zu vertreiben. In der Kombination mit der Hausverwaltung saß die Firma zudem an der Quelle der Objektakquise. Das klang für mich vielversprechend. Ich ließ mich dort anstellen. Das Grundgehalt war zwar wesentlich geringer als vorher, aber ich verhandelte eine attraktive Provisionsvereinbarung. Inzwischen habe ich schon mehrere Objekte verkauft.

Was hast du aus der Kündigung gelernt?

Die ersten 2-3 Tage nach der beruflichen Trennung waren schlimm. Ich bin im ersten Moment in Panik verfallen: Kinder, Haus finanziert, eventuell arbeitslos, Geld weniger. Das war erst einmal eine Katastrophe. Ich habe mich da sehr verrückt gemacht. Dann habe ich mich besonnen und vernünftig durchkalkuliert. Wenn ich was aus dem ganzen Schlamassel gelernt habe, dann, was ist das Schlimmste, was dir passieren kann? Ich wusste, dass ich wegen der Kündigung nicht zu Grunde gehen würde. Ich hatte noch das große Glück, dass ich einige Jahre zuvor eine Immobilie gekauft hatte, die damals schon günstig war. Inzwischen war sie 40% mehr wert. Im schlimmsten Fall hätte ich die verkaufen müssen. Selbst dann wäre das Leben weiter gegangen. Wer oder was hat dir sonst noch geholfen? Meine Frau, meine Kinder und gute Freunde. Teilweise und unvorhergesehen wurde es zeitweise finanziell eng. Zum Glück hatte ich gute Freunde, die mich in dem Moment nicht haben hängen lassen.

Was würdest du anderen raten, die in so eine Situation kommen?

• Nicht in Panik geraten
• Auf jeden Fall rechtlichen Beistand holen
• Nicht zu schnell klein beigeben
• Nicht den erstbesten Deal annehmen. Oft kriegt der Gekündigte im ersten Gespräch schon einen Vertrag untergeschoben.
• Bloß nichts auf Anhieb unterschreiben, auch nicht, wenn man unter Druck ist.
• Den Blick nach vorne richten. Wie hast du das gemacht?

Ich bin nicht in Selbstmitleid verfallen. Ich habe mich an meiner Frau und unseren Kindern hochgezogen. Ich hatte eine gute Ausbildung und versuchte, einen neuen Weg zu finden, meine Familie zu ernähren ohne in dem Unternehmen bleiben zu müssen, das mir gesundheitlich Schaden zufügte. Heute kann ich leicht darüber reden, aber damals ist mir das schon ein paar Tage schwer gefallen. Da ging es mir nicht gut. Ich hatte einen unruhigen Magen, schlecht geschlafen, war kaputt. Ich möchte da nicht in der Haut einer Person stecken, die dann monatelang zu so einem Arbeitgeber geht. Das war mein großes Glück, dass ich in der Situation war, es nicht tun zu müssen. Heute bin ich total zufrieden damit, wie ich den Weg gegangen bin. Ich finde deinen Slogan so treffend und würde für mich heute auch sagen: Ich wurde gefeuert – zum Glück, weil der Mensch an sich bequem ist. Oft fühlt man sich nicht wohl, aber der Drang etwas zu verändern ist noch nicht da, der Leidensdruck ist nicht hoch genug. Im Prinzip wird man erst dann tätig, wenn man keinen Ausweg mehr hat. Und so war es auch bei mir.


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